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Liberale Niederlande sind „Weltmeister im Abhören“

■ Nirgends werden so viele Telefone angezapft. Schärfster Kritiker ist eine Telefongesellschaft

Den Haag (dpa/taz) – „Wir sind Weltmeister im Abhören“, erfuhren die Niederländer vor einer Woche aus den Zeitungen. Ausgerechnet im Land des freien Haschischverkaufs und der straffreien Sterbehilfe werden demnach so viele Telefone angezapft wie nirgendwo sonst. Im Verhältnis zur Bevölkerungszahl schaltet sich die Polizei in den Niederlanden zehnmal öfter zu als in den USA. Stärkster Kritiker der weitverbreiteten Abhörpraxis ist die Telefongesellschaft PTT Telecom. Sie ist nach einem neuen Gesetz dazu verpflichtet, die Abhörtechnik gratis zu installieren. „Das kostet uns jedes Jahr x Millionen“, beschwert sich ein Sprecher. „Wir sind sehr verärgert darüber, daß es hier gar keine Grenze gibt.“

Das Parlament verlangt Aufklärung von der linksliberalen Justizministerin. Was die amerikanische Justiz als letztes Mittel einsetze, sei für niederländische Untersuchungsrichter offenbar an der Tagesordnung, kritisierten Abgeordnete. „Das Szenario von ,Big Brother is watching you‘ rückt näher“, befürchtet einer von ihnen. Ein Sprecher der Justizaufsichtskammer warnt: „Diese Entwicklung ist eine ernsthafte Bedrohung der Privatsphäre und in einer demokratischen Gesellschaft unerwünscht.“

Doch Staatsanwälte schwärmen geradezu von den „unschätzbaren Vorteilen“ des Abhörens. Wenn es um Drogenhandel oder andere schwerwiegende Fälle geht, dürfen in den Niederlanden auch Familienangehörige von Verdächtigen belauscht werden. Sogar Priester, Ärzte, Strafverteidiger und Parlamentsabgeordnete sind vor mithörenden Polizisten nicht gesetzlich geschützt. Verboten ist allerdings das Verstecken von Wanzen in Wohnungen oder Autos. Christoph Driessen

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