Der Zufallsnagler

■ Oskar Pastiors Lockungen und „Das Hören des Genitivs“im Literaturhaus

Der Lockruf Oskar Pastiors lautet: Komm in die Sprache, Freund! Liefere dich ihr aus, um dich von ihr gefangennehmen zu lassen, dich zugleich aber auch von ihr zu befreien!

„Ich optiere für das Unterschiedene, die Differenz im Sprachbewußtsein, den kleinen schiefen Schritt zur Seite, durch den wir Symmetrien (und andere Raster) erst erkennen und – immer etwas anders – produzieren können.“Der Verfasser dieses Credos ist ein eigenwilliger Autor, der unvergleichliche Texte herstellt: Der Siebenbürger Sachse Oskar Pastior (geb. 1927) aus Sibiu (Hermannstadt) in Rumänien kam im reifen Alter von vierzig Jahren nach Deutschland – 1945 wird er von den Sowjets zwangsdeportiert und verdingt sich nach seiner Rückkehr unter anderem als Kistennagler, dann studiert er in Bukarest Germanistik und arbeitet als Hörfunkreporter, als Übersetzer und – die Grenzen werden fließend – wird zum Dichter. Der sogenannte „Spätaussiedler“lebt seither in Berlin und bereichert sich und uns mit seinen Spracherkundungen.

Das Hören des Genitivs (1997 erschienen im Hanser Verlag) heißt sein jüngstes Werk, das „im orkan des denkens“die Symmetrien der Sprache kenntlich und damit auch veränderbar macht: „vom löschen des durstes abgesehen/ist das hören des genitivs/der hosenträger der erkenntnis//das verleihen des ohres/die behandlung des arztes//der besuch der kalten dame.“

Wer die Sprach- und Sprachspielregeln beherrscht wie Oskar Pastior, kann sie scheinbar mühelos verwenden und so seine ganz eigene Sprache schaffen. Auf diese Weise entsteht zum Beispiel die Zwiesprache mit verwandten Autoren, wie in dem Gedicht „awwanti sewwenti“, einer Hommage an den Kollegen Ernst Jandl: „jemandel/dediziert//o maschig ßeitn//dezidiert/umtso//sehr yell/ow/sehr yeux“, oder dem Zahlenspiel „16195“anläßlich des Sechzigsten der dänischen Lyrikerin Inger Christensen am 16. Januar 1965.

Pastior überschreitet die Grenzen des gewohnten Sprechens nach allen Regeln der Sprachsprechkunst unter Einbeziehung des Wortmaterials anderer Autoren wie auch des unerschöpflichen Reservoirs fremder Sprachen und der eigenen ungezügelten Wortbildungsphantasie. Das Hören des Genitivs läßt Ohren beben und setzt „das denken des zufalls“frei. Nicht der Poet dichtet, sondern das Material schafft seine Komposition und postuliert in „immer“: „das gedicht gibt es nicht. es/gibt immer nur dies gedicht das/dich gerade liest.“

Das Hören des Genitivs ist ein programmatischer Titel – denn was ist das Lesen der Texte Oskar Pastiors gegen das Hören der Texte des Oskar Pastior? Frauke Hamann

Der Lyriker Oskar Pastior liest heute abend aus „Das Hören des Genitivs“, Hanser Verlag, München, 1997 und aus anderen Werken, um 20 Uhr, Literaturhaus, Schwanenwik 38