: Liebesgeschichten – ach so
■ Ein Bremer namens Andreas Salm stellt am kommenden Freitag in der Stadtwaage sehr schöne musikalische Sachen an
Am Telefon drohte Andreas Salm damit, daß es sich bei seinen musikalischen Erzeugnissen um Chansons handeln würde. Zum Glück stellte sich diese Selbstdiffamierung als komplette Irreführung heraus. In Wahrheit nämlich erzeugt Salm mit Klavier und Stimme musikalische Dinge, für die es auf diesem Planeten keinen Namen gibt. Auf seiner CD „Moonchild“werden diese Dinge durch engelhaften Frauengesang und assoziationsreiche Klänge aus der Samplemaschine, eigentlich aber aus einer vorzeitlichen Welt – O-Ton Wasserblubbern, O-Ton Gesteinshalde – ergänzt. Obwohl der Verehrer von mysteriösen Synthieklängen Bombastbands wie Pink Floyd und Emerson, Lake & Palmer zu den Göttern und Goldenen Kälbern seiner Jugend zählte, sind seine Dinge äußerst karg, geradezu minimalistisch. In diesen Dingen haben sich nämlich noch ganz andere Einflüsse niedergeschlagen – schließlich ist Salm schon 40 Jahre alt: zum Beispiel die Achtung vor den exzeßhaft-ausufernden Meditationen Brian Enos und die Liebe zu den halb lakonisch-ironischen, halb melancholischen Klavierminiaturen Eric Saties. Den ungebunden-frei-flockig über der Musik schwebenden Sprechgesang Laurie Andersons mag er auch. George Crumb auch, und zwar wegen den brüchig-zarten Klängen – geflüsterte, gesummte Stimmen, näselnde Geigen – des E-Musik-Avantgardis. Wahrscheinlich gibt es nichts, was er nicht mag. Ach doch. Dem Jazzrocktoben des United Jazz & Rock Ensembles, das der studierte Klarinettist früher „stundenlang nachgespielte“, hat er entsagt.
Vor seiner Mutation zum verantwortungsvollen Familienvater war Salm im Westfälischen Landestheater von Castrop-Rauxel für die Musik zuständig. Da unterlegte er Brecht und Heine mit seinen Dingen. Mittlerweile selbständig geworden, verdingt er auch eigene Texte. Allerdings ließ er sie vorher ins Polnische und Französische übersetzen. „Das ist schlecht, ich kann kein Französisch.“– „Macht nichts, ich auch nicht.“– ??? – „Polnisch spreche ich aber ganz gut. Allerdings auch nur aus Zufall.“– „Um was geht es denn in Ihren Liedern?“– „Auf Moonchild sind es lauter sehr knappe Liebesgeschichten“– „Ach so, ja dann.“Salm will etwas erzählen, ohne großen Wert darauf zu legen, verstanden zu werden. „Genau.“Irgendwie sympathisch.
Seine feuchten Flüstereien (als hätte er eine spuketreibende Zitrone vor Augen), die gemächlichen Klavierwellen und sonderbaren Geräusche wollen den Hörer gar nicht überwältigen. In ruhiger, interessierter Gelassenheit harrt der vergnügt der Dinge, die da kommen. Am allerschönsten ist aber das Bob Dylan-Phänomen: Salm kann nicht singen, aber es hört sich verdammt gut an. bk
16. Januar, Langenstraße, 20 h
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen