: Berliner Kinder sollen nach Frostenwalde
■ Freie Träger wollen delinquente Kinder in nichtgeschlossenen Heimen betreuen. Deutschsprachige Kids sollen nach Brandenburg. Noch keine Lösung für strafunmündige Flüchtlingskinder, die "formalrecht
Die Frage „Was tun mit kriminellen Kindern?“ beschäftigt die Mitarbeiter des Landesjugendamtes schon seit Jahren. Also lange bevor Ehrhart Körting (SPD) Justizsenator wurde und sich im Dezember 1997 mit der Forderung nach der Wiedereinführung von geschlossenen Heimen in konservativen Kreisen profilierte. Körtings Vorstoß, der von CDU und Polizei heftig begrüßt wurde, führte dazu, daß Jugendsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) gestern endlich mit ihren Vorstellungen zum Umgang mit delinquenten Kindern herausrückte.
Stahmer und ihre Mitarbeiter lehnen geschlossene Heime ab, weil sie die Auffassung fortschrittlicher Pädagogen teilen, daß Kinder in solchen Einrichtungen erst recht auf die kriminelle Bahn geraten. Das Landesjugendamt favorisiert deshalb die Konzepte von drei freien Trägern, die nichtgeschlossene Heime planen. Als Träger im Gespräch sind die Aktion 70, das Sozialpädagogische Institut (SPI) und das evangelische Jugend- und Fürsorgewerk, die Anfang April mit der Arbeit beginnen wollen, wenn die Finanzierung geklärt ist.
Das evangelische Jugend- und Fürsorgewerk unterhält bereits in Frostenwalde bei Schwedt (Brandenburg) eine heimähnliche Einrichtung für jugendliche Straftäter – ein Ersatz für Untersuchungshaft. Auf dem viereinhalb Hektar großen Gelände soll nach Angaben des Geschäftsführers Siegfried Dreusicke ein eigener Bereich für strafunmündige Kinder eingerichtet werden. Dreusicke denkt an acht Plätze für delinquente Kinder ausschließlich aus Berlin, die für eine Weile aus ihrem sozialen Umfeld gelöst werden sollen. Ihnen soll mit jeweils einem Pädagogen pro Kind eine besondere Betreuung zuteil werden. Neben einer Sportanlage samt Schwimmbad gibt es auf dem Gelände neben der Möglichkeit der „Beschulung“ vielfältige Beschäftigungen wie Kochen, Backen, Computer- und Videokurse. Laut Dreusicke sollen dort aber nur deutschsprachige Kinder aufgenommen werden.
Strafunmündige Kinder anderer Ethnien sollen beim Träger Aktion 70 unterkommen. Diese Jugendhilfe im Verbund hat ein in Köpenick gelegenes Objekt in Aussicht, in dem ein Wohnprojekt mit zwölf Plätzen für straffällig gewordene Kinder und Jugendliche von 12 bis 16 Jahren aufgezogen werden soll – sechs Plätze davon in einer Aufnahmegruppe, die auch zur Vermeidung von Untersuchungshaft für Jugendliche dienen soll, und sechs Plätze in einer festen Wohngruppe. Laut Geschäftsführer Roland Geiger soll durch die „Distanziertheit der Wege bewußt ein Bruch“ zum bisherigen Lebensumfeld stattfinden. Geiger geht von einer Verweildauer von einem halben bis einem Jahr aus und hofft, daß den besonders betreuten Kids in dieser Zeit eine neue Lebensperspektive eröffnet werden kann.
Aktion 70 sei bereit, alle strafunmündigen Kinder unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit aufzunehmen, wenn eine „Jugendhilfeplanung“ des Bezirksamtes existiert, sagt Geiger. Die Aufnahme von delinquenten Flüchtlingskindern aus Rumänien, Exjugoslawien und Albanien, die der Kripo am meisten Sorgen bereiten, scheide aus diesem Grund oftmals aus. „Es ist politisch nicht gewollt, diesen Kindern eine Perspektive zu geben“, kritisiert Geiger. Harald Ehlert von der Treberhilfe e.V. macht ständig diese Erfahrung. Obwohl gerade bei Flüchtlingskindern ein großer Bedarf an besonderer pädagogischer Zuwendung bestehe, hätten diese „formalrechtlich“ keinen Anspruch auf Jugendhilfemaßnahmen, die zudem teurer als einfache Sozialhilfe seien.
Der dritte freie Träger im Bunde ist das SPI. Nach Angaben von Projektleiter Karl-Friedrich Schnur soll 20 bis 30 delinquenten Kindern eine „hochqualifizierte Einzelfallhilfe“ zuteil werden. Die individuelle Hilfe soll am jeweiligen Wohnort erfolgen und damit „ein Stück elterliche Treue“ verkörpern. Zielgruppe seien insbesondere delinquente deutsche Kinder und Migrantenkinder der dritten und vierten Generation. Plutonia Plarre
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