: DGB kündigt "härtere Gangart" an
■ Unternehmer "können Hals nicht vollkriegen". Gewerkschaften wollen mit millionenschwerer Kampagne "sozial-ökologische Alternative" puschen. Arbeitgeber haben "historische Chance vertan und Vertrauen kaputt
Düsseldorf (taz) – Für den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) ist jetzt das Ende der Bescheidenheit angesagt. Mit dieser Botschaft kam DGB-Chef Dieter Schulte gestern zur Neujahrspressekonferenz in Düsseldorf. Der sonst so bedächtig formulierende Gewerkschafter ging die Arbeitgeber hart an. Die seien die Erfüllung ihrer Arbeitsplatzversprechungen auf ganzer Linie schuldig geblieben. Die Gewerkschaften hätten dagegen in den vergangenen Jahren ein hohes Maß an Flexibilität gezeigt und durch Einkommensverzicht Vorleistungen zum Beschäftigungsaufbau erbracht.
Obwohl die deutschen Aktienkurse im vergangen Jahr um 47 Prozent gestiegen seien und die Wirtschaft „dickes Geld“ verdiene, steige die Arbeitslosigkeit von Monat zu Monat an. Gleichzeitig forderten die Unternehmer immer mehr Opfer von Beschäftigten und sozial Schwachen. Schulte wörtlich: „Sie können den Hals nicht voll kriegen.“
Für die Gewerkschaften sei deshalb jetzt ein Kurswechsel fällig: „Unser Entgegenkommen hat ein Ende. Die Zeit der Angebote ist vorbei.“ Durch ihr Verhalten hätten die Arbeitgeber „eine historische Chance vertan und Vertrauen kaputt gemacht“. In den Betrieben und Verwaltungen stehe jetzt Einkommenverbesserung auf der Tagesordnung. Dabei seien „härtere Auseinandersetzungen als in der Vergangenheit“ zu erwarten. Verantwortlich dafür sei allein das Unternehmerlager, in dessen Reihen sich eine „wahre Radikalisierung“ vollzogen habe.
Alle Wirtschaftsdaten zeigten im übrigen, daß die „nationalen Vorraussetzungen für die internationale Konkurrenzfähigkeit“ in Deutschland stimmten, sagte Schulte. Das Jammern der Unternehmer führe deshalb in die Irre. Mit immer neuen Forderungen suche die Kapitalseite „die Gunst der Stunde“ für pure Interessenspolitik zu nutzen. Scharf griff Schulte in diesem Zusamenhang den Industrie-Präsidenten Hans-Olaf Henkel an. Henkel sei das „personifizierte Standortrisiko“ in Deutschland.
Von der Bundesregierung forderte der DGB-Vorsitzende noch in diesem Jahr eine Steuerreform, „die die unteren und mittleren Einkommen entlastet“. Reiche und Selbständige müßten endlich „wieder entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit“ zum Steueraufkommen beitragen. Von der Bundesregierung erwarte er bis zum 15. April die Vorlage eines Aktionsprogramms zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Dazu habe sich Bonn beim letzten EU-Sozialgipfel ebenso verpflichtet wie zu Maßnahmen gegen Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit.
Um einer „anderen Politik“ in Bonn zum Durchbruch zu verhelfen, will der DGB sich bis zur Bundestagswahl ganz massiv in den Wahlkampf einmischen. Das Konzept muß zwar noch während der DGB-Bundesvorstandssitzung Ende Januar abgesegnet werden. Klar ist aber, daß die Düsseldorfer Zentrale dafür 8 Millionen Mark zur Verfügung stellt. Damit werden Plakatwände gemietet, Fernsehspots geschaltet und Millionen von Flugblätter finanziert. Das Motto der Kampagne: „Deine Stimme für Arbeit und soziale Gerechtigkeit“. Konkrete Wahlempfehlungen zugunsten einer Partei wird es nicht geben. Man wolle aber, so Schulte, „in der Gesellschaft Mehrheiten für eine andere Politik mobilisieren“, um die DGB-Forderungen für „mehr Arbeitsplätze, für soziale Gerechtigkeit und eine sozial-ökologische Reformstrategie besser durchsetzen zu können“. In der Düsseldorfer Gewerkschaftszentrale setzt man offenbar darauf, daß dieser Kampagne dann die Kreuze an der richtigen Stelle auf dem Wahlzettel folgen. Walter Jakobs
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