: „Ganz neuer Sprachflow“
■ Nach dem Haß kommt die Liebe: Am Schauspielhaus reflektieren Anselm Weber und Rainald Goetz mit Krieg. Hamburger Fassung die Achtziger
Die achtziger Jahre waren das Jahrzehnt des Hasses – was die Subkulturen betrifft. Punk war nach seiner britischen Erfindung mit kurzer Verzögerung auf den Kontinent geschwappt, und auch die Waver setzten alles daran, dem Gemütlichkeitsdiktat und Harmonieterror der Friedensbewegung einen ästhetischen Kältetod zu bereiten. Demokratie, per definitionem auf Kompromisse und Mittelmaß ausgerichtet, erschien vielen jungen Menschen plötzlich als das Prinzip Langeweile, dem mit Strategien radikaler Ablehnung begegnet werden mußte. „Haß ist das Schlüsselwort“, schrieb Thomas Meinecke 1988; „Alles zerstören/vernichten/Alles/Vernichten/Vernichten, vernichten, vernichten“, hieß es '86 in Rainald Goetz' erster Trilogie fürs Theater. Ihr Titel Krieg war weniger als Zustandsbeschreibung denn als Aufforderung zu verstehen.
Das ist heute definitiv zehn Jahre her. Statt sich die Stirn vor den „Nullenkritikern“aufzuschneiden, die in einer „Peinsackpolonaise durchs Feuilleton“ziehen, predigt der 43jährige Goetz heute Techno und Liebe für alle im Zeitmagazin. „Goetz ist der einzige Intellektuelle, der kapiert hat, daß 1989 ganz tolle Dinge passiert sind“, behauptet Anselm Weber, der gerade Krieg am Schauspielhaus inszeniert. 1984 hatte er dort bereits Katarakt, den letzten Teil von Goetz' Festungs-Trilogie, inszeniert, und damit nicht nur Publikum und Kritik, sondern auch den Autor begeistert. Es entstand eine Arbeitsfreundschaft, die Goetz veranlaßte, das von ihm seit geraumer Zeit für die Bühne gesperrte Stück für eine Inszenierung in Hamburg freizugeben.
„Es war von Anfang an klar, daß man einen ganz neuen Blick auf das Stück werfen muß“, so Weber. Gemeinsam bearbeiteten die beiden geborenen Münchner die Trilogie und strichen 300 Seiten auf 50 zusammen. Die drei Dramen – Heiliger Krieg, Schlachten, Kolik – wurden zu einem einzigen, 60minütigen verwoben, „reduziert auf das, was heute diskutierbar schien: die Unfähigkeit, mit Gewalt umzugehen“. Ein zweiter, 30minütiger Teil wurde von Goetz neu verfaßt. Er spielt im Hier und Jetzt der Bühne und läßt einen „Gefallenen“, der als Alter Ego des Künstlers gelesen werden darf, über das Achtziger- Werk reflektieren. Natürlich in einem „ganz neuen Flow der Sprache“, ergänzt durch von Goetz abgemischte elektronische Klänge. Erstaunlicherweise steht auch hier, bei aller Liebe, am Ende „ein geradezu animalisches Bedürfnis, allein zu sein“. Christiane Kühl
Premiere: Freitag, 16. Januar, 19.30 Uhr, Schauspielhaus
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