■ Durch die Politik der elf Verteidigungsminister der Bundesrepublik seit 1955 zog sich wie ein roter Faden die Frage nach der deutschen Militärvergangenheit. Beantwortet wurde sie stets im Sinne des Zeitgeistes Von Bettina Gaus
: Kampf um demokratischen Geist

Über den Erfolg oder Mißerfolg eines Verteidigungsministers in einem demokratischen Deutschland entscheidet eben vor allem seine Nähe oder Distanz zum jeweiligen Zeitgeist. Wie die zivile Gesellschaft auf die rechtsextremen Vorkommnisse bei der Bundeswehr reagiert, wird Aufschluß über die politische Großwetterlage in der Bundesrepublik liefern: eine Sittengeschichte in elf Akten.

Volker Rühe behauptet gern, daß ihm Fehler nicht passieren könnten wie die, über die seine Vorgänger gestolpert oder gar gestürzt sind: „Mein Instinkt bewahrt mich vor so etwas.“ Auch wer dem Verteidigungsminister wohlgesonnen ist, zuckt bei solchen Äußerungen zusammen. Fordert eine derartige Selbstsicherheit das Schicksal nicht geradezu heraus? „Dieses Haus ist regierbar. Ich habe es so fest im Griff, daß ich es mit der linken Hand führen kann.“ Erinnert sich Rühe nicht mehr an diese Sätze? Manfred Wörner hat sie im Jahr 1983 gesprochen. Ein paar Monate später war dieser Minister so fest im Griff der Kießling-Affäre, daß er sich davon seine gesamte Amtszeit hindurch nicht mehr erholen sollte.

Dennoch hat Volker Rühe bislang recht behalten. Es sind keine Fehler wie die seiner Vorgänger, die ihn in Bedrängnis bringen. Er hat neue gemacht, ganz im Einklang mit seiner Persönlichkeit und seinen politischen Prioritäten. Damit steht er in der Tradition der deutschen Verteidigungsminister. Kein Skandal, keine Rücktrittsforderung, kein folgenschweres Versäumnis der Vergangenheit ist zufällig über die jeweiligen Amtsinhaber hereingebrochen – alle Scherbenhaufen spiegeln zuverlässig die individuellen Eigenheiten der Politiker wider.

Gleichzeitig aber, und das ist nur scheinbar paradox, stehen auch alle im Zusammenhang mit den großen Streitfragen, die die Bundeswehr seit ihrer Gründung begleitet haben: Wie soll sich das Verhältnis zwischen ziviler Gesellschaft und dem Militär gestalten? Wie läßt sich das Ideal vom Staatsbürger in Uniform verwirklichen – und was genau bedeutet es? Gewinnen im Richtungskampf die Reformer der Bundeswehr oder die Traditionalisten?

Die Hardthöhe galt von jeher als Schleudersitz. Es gab schon fast doppelt so viele Verteidigungsminister wie Kanzler in der Geschichte der Bundesrepublik. Aber auch eine Vielzahl von Pannen und Skandalen, ja, selbst ein erzwungener Rücktritt lassen einen Politiker auf diesem Posten noch nicht als gescheitert erscheinen.

Zu den seltsamen inneren Widersprüchen der Hardthöhe gehört, daß die Niederlage eines Ministers darin bestehen kann, seinen Sessel nicht zu räumen. Ein Rücktritt mag dagegen zum Triumphmarsch werden. Pompöse Zeremonien, wie sie anderen Ressorts nicht zur Verfügung stehen, tragen das Ihre dazu bei.

Manfred Wörner blieb bis 1988 auf seinem Posten, obwohl er die spektakuläre Entlassung des Generals Günter Kießling, die mit dessen angeblicher Homosexualität begründet worden war, rückgängig machen mußte. Aber er war politisch zum Leichtgewicht geworden. Bundeskanzler Kohl entschied nach der Affäre wichtige militärische Fragen über den Kopf seines Ministers hinweg.

Franz Josef Strauß hingegen mußte 1962 zurücktreten, weil er im Zusammenhang mit der Spiegel-Affäre den Bundestag belogen hatte. Sein glanzvoller Abschied mit Großem Zapfenstreich glich jedoch der Feier eines ruhmreichen Feldherren nach siegreicher Schlacht. Bittere Stunden gehörten „zur Formung des Mannes“, tröstete der 86jährige Konrad Adenauer. „Was Ihnen auferlegt war, für unser Volk, war vielleicht so bestimmt.“ Die SPD und auch der Koalitionspartner FDP waren der Veranstaltung ferngeblieben. Aber auf demonstrative Gesten verstand sich der greise Bundeskanzler ebenfalls: „Ich bin sicher, daß Sie auch in Zukunft im politischen Leben des deutschen Volkes eine große und entscheidende Rolle spielen werden“, gab er Strauß damals mit auf den Weg – womit er recht behalten sollte.

Ob ein Verteidigungsminister erfolgreich war oder nicht, bemißt sich vor allem daran, in welchem Maße sein politisches Handeln mit dem geistigen Klima der Bundesrepublik übereinstimmte. Die Entwicklungen in der Bundeswehr sind nicht etwa, wie Volker Rühe glaubt, ein Spiegelbild, sondern ein Brennglas der Gesellschaft. Deshalb kann heute die politische Reaktion auf rechtsextremistische Umtriebe bei den Streitkräften in ihrer Bedeutung gar nicht überschätzt werden.

Manfred Wörner hatte bei weiten Teilen der Öffentlichkeit sein Ansehen nicht nur deshalb eingebüßt, weil er die Anwürfe gegen Kießling nicht genug geprüft hatte, sondern weil viele Bürger das Diktum nicht mehr nachvollziehen konnten, daß ein General nicht homosexuell sein durfte. Der Minister lag nicht im Trend, als er Kießling schaßte. Strauß hatte dagegen mit seinem militärpolitischen Kurs die restaurative Stimmung seiner Zeit genau getroffen. Die Mehrheit hielt wenig von kritischen Medien, und Übergriffe von Politikern schienen verzeihlich, wenn sie mit angeblichen deutschen Sicherheitsinteressen legitimiert wurden.

Der erste Verteidigungsminister Theodor Blank, Vorgänger von Franz Josef Strauß, war nach nur wenig mehr als einjähriger Amtszeit 1956 sang- und klanglos abgetreten. Noch 1992 stand dazu in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu lesen, Blank sei gescheitert, weil er seine Vorstellungen vom Aufbau der neuen Armee mit der gewünschten Stärke von 500.000 Mann nicht habe verwirklichen können. Ein allzu vordergründiges Urteil. Der Wandel, der sich im Wechsel der Personen von Blank zu Strauß ausdrückte, war viel tiefgreifender.

Theodor Blank hatte den Grundstein für das Konzept der ersten Streitkräfte eines demokratischen Deutschlands gelegt. In seiner Dienststelle („Amt Blank“) war die Einrichtung der Bundeswehr jahrelang vorbereitet worden. Das Prinzip der Inneren Führung und das Ideal vom „Staatsbürger in Uniform“, der Primat der Politik und der Abschied von alten deutschen Militärtraditionen sind mit seinem Namen verbunden. Gesät war damit auch der Keim des Streits zwischen Reformern und Traditionalisten in der Bundeswehr.

Strauß hatte seinen ersten Bundestagswahlkampf noch mit dem Slogan bestritten, der Arm jedes Deutschen solle verdorren, der jemals wieder eine Waffe trüge. Als Verteidigungsminister sollte er später nach dem Willen von Kanzler Adenauer dafür sorgen, daß die Wieder- mit der Atombewaffnung verbunden wurde. Nach außen setzte der wandlungsfähige CSU-Politiker auf die nukleare Karte. Im Blick auf die innere Entwicklung der Bundeswehr spottete er abfällig, die Innere Führung sei das „politische Heiligtum“ im Amt Blank gewesen, und machte sich daran, die Traditionalisten zufriedenzustellen. Damals wurden erstmals Befürchtungen laut, es gebe in der Bundeswehr rechtsradikale Tendenzen.

Die Sorge verstärkte sich noch in der Amtszeit seines Nachfolgers Kai- Uwe von Hassel. Zum ersten Mal griff damals der Verteidigungsminister als Abwehrmaßnahme zu einem Mittel, das später noch mehrfach genutzt werden sollte: 1965 wurde die Ausbildung der Offiziere reformiert und thematisch erweitert. Die Überzeugung, gut ausgebildete Führungskräfte seien für radikale Parolen wenig anfällig, verband Minister über Jahrzehnte und Parteigrenzen hinweg und stand bei diversen Reformen Pate. Deshalb sind Vorwürfe, die kürzlich im Zusammenhang mit Fragen der politischen Bildung gegen Volker Rühe erhoben worden sind, von noch größerer Tragweite als abstoßende Vorkommnisse in einzelnen Kasernen.

Der stellvertretende Vorsitzende des „Beirates für Fragen der Inneren Führung“ der Bundeswehr, Werner Lichtwark, hat dem ARD-Magazin „Monitor“ zufolge kürzlich beklagt, daß die Vorschläge des Beirates zur Verbesserung der politischen Bildung in den Streitkräften bei Rühe im Unterschied zu allen bisherigen Ministern bislang auf taube Ohren gestoßen seien. Hans Apel, Manfred Wörner und Gerhard Stoltenberg hätten regelmäßig an den Sitzungen des Beirates teilgenommen. Rühe sei dagegen in den letzten vier Jahren nur zweimal dabeigewesen. Auch habe der Beirat „wiederholt und erfolglos“ vor rechtsradikalen Tendenzen in der Bundeswehr gewarnt. Vor einigen Tagen rügte auch die Wehrbeauftragte des Bundestages, Claire Marienfeld, die politische Bildung in der Truppe sei in der letzter Zeit „vernachlässigt“ worden.

Nein, Volker Rühe hat die Fehler seiner Vorgänger nicht wiederholt. Er macht eigene. Er glaubt, es genüge, als Zivilist auf dem Primat der Politik zu bestehen, um die Bundeswehr wie ein General der alten Schule führen zu dürfen.

Der Bundeswehrreformer Wolf Graf von Baudissin hat 1969 gewarnt: „Wenn die Jugend – und sicher auch ein Teil der Berufssoldaten – die Kasernen nicht als Staatsbürger betreten, so müssen sie Staatsbürger werden, um ihre soldatische Aufgabe recht erfüllen zu können.“ Rühe meint dagegen, mit Hinweis auf Versäumnisse von Schule und Elternhaus bei der politischen Bildung von Wehrpflichtigen Angriffe von der Bundeswehr auf die Gesellschaft insgesamt umlenken zu können.

Der Kampf gegen reaktionäre Tendenzen in der Bundeswehr ist stets mühsam gewesen. Die Reformversuche von Kai-Uwe von Hassel griffen zu kurz. Im Amt überschattet von einer Absturzserie des Starfighters, die auch seinen Sohn das Leben kostete, wurde der Minister der Führungskrise in der Bundeswehr nicht Herr. Am Ende konnte er sich nicht einmal mehr auf die Solidarität des Regierungslagers verlassen.

Gerhard Schröder, der 1966 den Posten übernahm, wäre lieber Außenminister geblieben und profilierte sich auch auf der Hardthöhe mehr im Bereich der sicherheitspolitischen Diplomatie denn als Wehrexperte. Der Kampf um den Kurs des Militärs spitzte sich innerhalb der Bundeswehr weiter zu. Bis hin zur offenen Konfrontation: Der Wehrbeauftragte verlangte den Verzicht auf traditionelle Führungsstile des Obrigkeitsstaates und nannte die Integration des Militärs in die Gesellschaft unzulänglich; der Inspekteur des Heeres und mehrere Generäle forderten dagegen die Rückbesinnung auf das traditionelle Soldatenbild. Mit Rechtsextremisten sind sie nicht gleichzusetzen – aber sie befördern ein Klima, in dem antidemokratische Saat gedeihen kann.

„Die Traditionalisten gingen in die Offensive“, schreibt der renommierte Militärwissenschaftler Detlef Bald in einer umfassenden Studie über Militär und Gesellschaft in der Bonner Republik von 1945 bis 1990 über diese Zeit. Ende der sechziger Jahre hätten die Väter des Konzepts der Inneren Führung ihre Reformen geradezu als gescheitert angesehen. Nach Ansicht von Bald lag dieser Entwicklung eine langfristig angelegte, kluge Strategie zugrunde: „Konnten in den fünfziger Jahren die Reformer sich vom Wohlwollen der öffentlichen Meinung und der parlamentarischen Opposition unterstützt fühlen, hatten die Traditionalisten vor allem den effizienten Weg der bürokratisch-administrativen und der publizistischen Einflußnahme gewählt, unterstützt vom rechten Parteienspektrum.“

Das Verhältnis der zivilen Gesellschaft zur Bundeswehr war seit deren Gründung kompliziert, und ist es bis heute geblieben. Weite Teile der Bevölkerung stehen Fragen, die sich mit der inneren Verfassung der Bundeswehr befassen, mindestens gleichgültig, wenn nicht gar ablehnend gegenüber. Auch unter denjenigen, die Streitkräfte grundsätzlich für notwendig halten, gibt es eine große Zahl, die mit Details in diesem Zusammenhang nicht behelligt werden möchten.

Der Beschäftigung mit Militärpolitik haftet, wenn sie nicht in einen radikalen Pazifismus mündet, hierzulande in den Augen vieler leicht der Hautgout des Militarismus an. Umgekehrt scheinen manche ihre Distanz zu diesem Bereich mit einer fundierten Position zu verwechseln, die auf globale, friedliche Koexistenz abzielt.

So führt ausgerechnet das historisch begründete Mißtrauen vieler Deutscher gegenüber dem Militär dazu, daß die Zivilisten sich um den inneren Zustand der Streitkräfte wenig scheren, es sei denn, der führt zu süffigen Skandalen. Diese wiederum sind eher dazu angetan, bestehende Vorurteile gegen die Bundeswehr in der Öffentlichkeit zu vertiefen, als daß sie zu einer eingehenderen Befassung mit deren Problemen führen – ein Mechanismus, der sich auch in einigen Reaktionen auf die jüngsten Ereignisse mit rechtsextremistischem Hintergrund bei der Bundeswehr widerspiegelt.

Dieser Teufelskreis ist vor allem für sozialdemokratische Verteidigungsminister zum Problem geworden. Hatten sie bei der Truppe eine tiefe Skepsis zu überwinden und bei den Konservativen gegen offene Ablehnung zu kämpfen, so konnten sie in ihrem Ressort auch nicht auf die grundsätzliche Solidarität der eigenen Anhänger bauen. Dennoch begann die Ära der SPD- Minister auf der Hardthöhe mit einer Erfolgsgeschichte. Der erste wurde 1969 Helmut Schmidt. In diesem Ressort gelang ihm, vielleicht besser als in seinem späteren Wirken als Bundeskanzler, konsequent sozialdemokratische Politik zu verfolgen.

In seiner Amtszeit verlor die Wehrpolitik, wie die Süddeutsche Zeitung in einer Würdigung schrieb, „zumindest etwas den Charakter der Geheimwissenschaft“. Pluralismus und Offenheit sollten seinen Vorstellungen zufolge das Klima bei den Streitkräften prägen. Schmidt sorgte für eine Verbesserung der sozialen Situation der Soldaten, setzte eine Dienstzeitverkürzung auf 15 Monate durch und legte die Grundlagen für ein modernes militärisches Bildungswesen.

Offiziere, die zwölf Jahre oder länger dienten, wurden zum Studium verpflichtet, eine Verfügung, die erst Manfred Wörner wieder aufheben sollte. Die öffentliche Debatte über die Innere Führung wurde zum beherrschenden Thema. Auch Helmut Schmidt entließ Generäle – aber nicht wegen ihrer angeblichen sexuellen Präferenzen, sondern weil sie geäußert hatten, Freiheit und Demokratie seien „keine letzten Werte“, oder erklärten, die Innere Führung sei nur die Maske gewesen, die man sich aus taktischen Gründen habe vors Gesicht halten müssen.

Unter der Oberfläche gärte der Richtungskampf weiter. Welches Minenfeld ein Verteidigungsminister betritt, der den Zeitgeist nicht auf seiner Seite hat und auf wenige Verbündete rechnen kann, mußte Hans Apel vielleicht mehr als jeder andere erfahren. „Ich wurde auf die Hardthöhe abkommandiert. Dort bin ich in viereinhalb Jahren vom Kronprinzen zum Arschloch geworden“, bilanzierte der SPD-Politiker, der am Ende seiner Amtszeit von rechts wie von links angefeindet worden war. Apel mußte seinen Schreibtisch 1982 beim Regierungswechsel in Bonn räumen, hätte sich aber nach Ansicht von damaligen Beobachtern sowieso nicht mehr lange im Amt halten können.

Mit allzu vielen Gruppen hatte es sich der SPD-Politiker verdorben. Der erste Oberbefehlshaber der Bundeswehr, der zu einem „weißen“ – ungedienten – Jahrgang gehörte, galt früher als Pazifist. Noch 1975, drei Jahre vor seiner Berufung auf die Hardthöhe, hatte er betont, bekennender Protestant zu sein und kein Verhältnis zu Militär und Bewaffnung zu haben. Als Minister profilierte sich Apel dann als Befürworter der Nachrüstung und setzte obendrein öffentliche Rekrutengelöbnisse gegen massiven Widerstand, auch aus den Reihen der SPD, durch. Er schien mit einem Handlungsreflex behaftet zu sein, der in der Geschichte schon oft zu beobachten gewesen ist: Immer wieder haben sozialdemokratische Politiker sich konservativer als die Konservativen selbst geriert – ganz so, als hielten sie deren prinzipielle Ablehnung für gerechtfertigt und müßten alles daransetzen, sie durch Veränderung der eigenen Position zu überwinden. Genützt hat das den SPD-Politikern kaum je etwas. Hans Apel ist da ebensowenig eine Ausnahme wie sein Vorgänger Georg Leber.

Der Gewerkschaftsführer, dem bei seinem Amtsantritt offenes Mißtrauen von Offizieren entgegengeschlagen war, wurde bald bei den Streitkräften zum vielleicht beliebtesten Verteidigungsminister überhaupt und erwarb sich rasch den Respekt auch konservativer Medien. Er legte, ganz in der Tradition der Gewerkschaftsbewegung, großes Gewicht auf die Verbesserung der Ausbildung und richtete eigene Universitäten für die Bundeswehr ein. Nach seinem Rücktritt 1978 bescheinigte ihm die FAZ, die schwierige Aufgabe der Integration der Bundeswehr in die Gesellschaft bewältigt zu haben.

In dem Maße, in dem Lebers Verbundenheit mit der Truppe wuchs, entfremdete er sich jedoch seiner eigenen Partei. Ausgerechnet ein Sozialdemokrat gab das größte Rüstungsprogramm der Geschichte der Bundeswehr in Auftrag. Vom Panzer über den Hubschrauber bis zum Kampfflugzeug wurde fast die gesamte Ausrüstung neu bestellt. Am Ende entglitt ihm die Kontrolle – über die Finanzen, aber auch über den Geist der Armee.

Unter Georg Leber häuften sich Skandale, die auf rechtsextreme Neigungen von Teilen des Offizierskorps schließen ließen. Ein chilenischer Oberstleutnant machte an der Hamburger Führungsakademie der Bundeswehr Propaganda für das diktatorische Regime seines Landes. Der Luftwaffeninspekteur ließ sich in den Apartheidstaat Südafrika einladen. Zwei Luftwaffengenerale luden den Rechtsradikalen Hans Ulrich Rudel zu einem Traditionstreffen ein. Zu Fall brachten Leber schließlich illegale Lauschaktionen des Militärischen Abschirmdienstes und ein gravierender Spionagefall im Verteidigungsministerium.

Hans Apel trat ein schwieriges Erbe an. Die Umsetzung des Prinzips der Inneren Führung und der Abwehrkampf gegen traditionalistische Strömungen prägten seine Amtszeit ebenso wie der Zwang zu Einsparungen, die am Ende doch nicht verhindern konnten, daß immer neue Deckungslücken klafften, vor allem im Zusammenhang mit dem Kampfflieger Tornado.

Was für den zurückgetretenen Franz Josef Strauß eine Ehrung war und einer Rehabilitierung gleichkam, wurde für Hans Apel zur schallenden Ohrfeige: der Große Zapfenstreich zum Abschied von der Hardthöhe. Er war von Nachfolger Manfred Wörner gegen Apels Willen angeordnet worden und wies die Richtung. Im neuen Traditionserlaß, von Apel als eine seiner letzten Amtshandlungen in Kraft gesetzt, war das alte, von ihm ungeliebte Zeremoniell gekürzt worden. Der Erlaß würde unter der neuen Regierung keinen Bestand haben, so mußte der scheidende SPD-Minister damals befürchten.

Die Annahme trog. Wörner erwies sich als zu schwach, um den Erlaß zu kassieren. Er gilt bis heute. Es war ein im wesentlichen geglückter Versuch, scheinbar Unvereinbares miteinander zu versöhnen: eine klare Distanzierung von der Wehrmacht und ihren Verbrechen im Zweiten Weltkrieg bei gleichzeitiger Akzeptanz der Facetten der deutschen Militärgeschichte. Längst war eine klare Definition der Haltung der Streitkräfte zur militärischen Vergangenheit überfällig gewesen.

Seit Bestehen der Bundeswehr gehören ihr Verhältnis zur früheren Wehrmacht und die Frage, welche Traditionen in welcher Form gepflegt werden sollen, zu den am stärksten tabuisierten, sensibelsten Themen im Bereich der Militärpolitik. Es begann schon bei der Rekrutierung der ersten Offiziere – die neue Armee stützte sich auf alte Kräfte. Seither zog sich das Problem der Vergangenheitsbewältigung wie ein roter Faden durch die Geschichte. Gelöst ist es bis heute nicht. Noch in den letzten Monaten hat es Beispiele dafür gegeben, daß sich Teile der Bundeswehr über Geist und sogar Buchstaben des Traditionserlasses hinweggesetzt haben.

Apels Nachfolger Manfred Wörner gehörte zu den wenigen Verteidigungsministern, die mit dem Einzug auf der Hardthöhe am Ziel ihrer Wünsche angelangt waren. Der Oberstleutnant, ein passionierter Kampfflieger, hing einem traditionalistischen Verständnis vom Soldatentum an. Das Konzept der Integration von Militär und Gesellschaft denunzierten Berater von ihm als „Integrationsideologie“. Der Minister definierte sein Bild von einem Offizier unmißverständlich: „Unvermeidlich sind Einordnung und damit Beeinträchtigung der persönlichen Freiheit.“

Die konservativen Minister wechselten, das geistige Klima blieb. Der Staatsrechtslehrer Rupert Scholz, dessen nur elfmonatige Amtszeit von den Unglücken in Ramstein und Remscheid und der Kontroverse um Tiefflüge überschattet wurde, gehörte ebenso zum rechten Flügel der Union wie sein Nachfolger Gerhard Stoltenberg. Unterdessen wuchs die öffentliche Distanz zur Bundeswehr und damit die Gefahr einer Abkoppelung der Streitkräfte von der Gesellschaft.

Die Bereitschaft der Bevölkerung nahm ab, in der Armee eine grundsätzlich sinnvolle Einrichtung zu sehen. Im Juni 1988 fühlten sich Umfragen zufolge zwei Drittel der Jugendlichen nicht mehr vom Ostblock bedroht. Der Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums und die deutsche Wiedervereinigung boten der Bundeswehr eine unverhoffte Chance für eine neue Definition ihrer Aufgaben.

Gerhard Stoltenberg, der sich unerwartet mit einer veränderten Weltlage konfrontiert sah, war allerdings überfordert. Zwar konnte er die Grundlagen für die Verschmelzung der Bundeswehr mit der NVA legen, aber es gelang ihm nicht, mit Blick auf die Ratlosigkeit vieler Soldaten richtungweisend zu wirken.

Die Fülle auch rein organisatorischer Anforderungen war erdrückend. Drei Monate vor Stoltenbergs Rücktritt 1992 kolportierten böse Zungen, der Minister paraphiere keine Akten mehr, damit er gegebenenfalls sagen könne, er habe von einem Vorgang nichts gewußt. Gehen mußte er dennoch: Nachdem sein Ansehen bereits 1991 unter der – gestoppten – verbotenen Lieferung von Panzern an den israelischen Geheimdienst gelitten hatte, wurde einige Monate später die illegale Lieferung von 15 Panzern an die Türkei zum Ende seiner politischen Karriere.

Mit Volker Rühe schien die Ära der strammen Konservativen auf der Hardthöhe beendet zu sein. Bei öffentlichen Auftritten im Ton moderat und um gedeihliche Zusammenarbeit mit der Opposition bemüht, erweckte er lange den Eindruck eines Verteidigungsministers, dem die Integration der Bundeswehr in die Gesellschaft besonders am Herzen lag. Erst in jüngster Zeit ist deutlich geworden, welch geringe Beachtung er dem Geist geschenkt hat, der bei der Truppe weht.

Wie groß die Probleme am Ende sein werden, die ihm daraus erwachsen, ist offen. Über den Erfolg oder Mißerfolg eines Verteidigungsministers entscheidet eben vor allem seine Nähe oder Distanz zum Zeitgeist. Wie die Gesellschaft auf die Vorkommnisse bei der Bundeswehr reagiert, wird Aufschluß über die politische Großwetterlage in Deutschland insgesamt liefern.s