: Vom Ökodorf zum Wirtschaftsstandort
■ Die Uno lobte das Experiment einer ökologischen Gemeindeplanung – doch die CDU/FDP Mehrheit machte jetzt Schluß mit dem Öko-Experiment. „Wir setzten andere Akzente“, heißt es / Jetzt kracht es gewaltig im einstigen Öko-Vorzeigedorf
ar da was? Wer nicht rechtzeitig den Fuß vom Gaspedal nimmt, brettert durch Deutschlands berühmte Ökogemeinde und merkt es nicht einmal. „Das Dorf ist so häßlich, da kommt man nie drauf, daß hier was besonders ist. Is ja auch nicht mehr“, brummelt ein Geschäftsmann.
Bis vor zehn Jahren galt die ländliche Gemeinde mit 15 Dörfern und 15.000 Einwohnern als CDU-Feste. 1986 knackte die SPD den schwarzen Gürtel und vermarktete Wardenburg als Ökogemeinde. Mit durchschlagendem Erfolg
. 1995 schlug das schwarze Imperium zurück. Durch SPD Überläufer entstand zwar ein politisches Patt im Gemeinderat, doch nach der Kommunalwahl 1996 stellten CDU und FDP die Bürgermeister. Mit nur einer Stimme Mehrheit kippte die neue Führung das ökologische Experiment.
„Natürlich haben wir die Richtung von Herrn Hildebrandt nicht mehr weiterverfolgt“, stellt die amtierende Bürgermeisterin Ingrid Oeltje-Bruns (FDP) klar. Eckhard Hildebrandt ist der ehemalige SPD-Bürgermeister. Seine Richtung ist und war die Aufnahme ökologischer Prinzipien in die Gemeindeplanung. Hildebrandt kämpft an vielen Fronten. Gegen Atomkonzerne, gegen sture Bauern, die auf Massentierhaltung bestehen und gegen Atomkraftgegner. Dabei ist er zusätzlich mit „Leib und Seele Polizist“und hat auch kein Problem damit, im Kampfdress der Bereitschaftspolizei Niedersachsen als Einsatzleiter Dienst vor Gorleben zu schieben.
Da läßt er, wenn es sein muß, die Atomkraftgegner die ganze Härte des Gesetzes spüren. Schamrot aber wird er nicht, wenn er deren Flugblätter liest. Sie könnten von ihm selbst verfaßt worden sein, denn er war lange Jahre Geschäftsführer der „Biologischen Schutzgemeinschaft Hunte-Weser-Ems“.
Als Hildebrandt 1986 SPD-Bürgermeister in Wardenburg wurde, versuchte er zum Schrecken vieler Bauern, die er in seiner Tätigkeit für die Schutzgemeinschaft schon lange Jahre gequält hatte, die Gemeinde ökologisch umzukrempeln. Als Verwaltungsbrückenkopf richtete er ein Umweltamt ein. Die ehemalige Leiterin, Ruth Drügemöller: „Der hat die neue Politik bundesweit verkauft. Wardenburg hatte Vorbildfunktion.“Heute weist zwar noch ein schönes Holzschild zum Umweltamt. Aber das gibt es nicht mehr. Die neue politische Führung hat es abgeschafft.
Dabei konnte sich die Öko-Bilanz der kleinen Gemeinde sehen lassen. Sie förderte finanziell Pflanzenkläranlagen in Gebieten, die nicht an die Kanalisation angeschlossen waren. Vorher versickerte das Schmadderwasser und gefährdete die Moore. Ein Wertstoffhof wurde eingerichtet, der Kühlschränke und andere Geräte receycelte. Die Gemeinde kaufte Schredder und verlieh sie an Privatleute. Der Mulch sollte chemische Planzenvertilgungsmittel ersetzen.
Außerdem baute die Gemeinde mit dem Schnittholz privater Haushalte kilometerlange Todholzwälle. Das Umweltamt betrieb massiv Werbung für Solarenergie. Als an einer unbeleuchteten Schulbushaltestelle ein Kind Opfer eines Verkehrsunfalles wurde, legte Wardenburg ein Programm auf, alle Schulbushaltestellen mit Solarbeleuchtung auszustatten. Gemeindegrundstücke, die zur Bebauung verkauft wurden, mußten mit Regenwasserrückhalteanlagen ausgestattet werden. Was in Nachbarkreisen verboten ist, wurde in Wardenburg gefördert: Die Nutzung von Regenwasser für Toilette, Waschmaschine und ähnlichem.
Selbst die Ausweisung von Gewerbegebieten wurde an ökologische Maßnahmen gebunden. Pro Quadratmeter bebauter Flächen mußten Grünanlagen berücksichtigt werden. Auch hier mußten Regenrückhaltebecken oder Versickerungsrinnen eingerichtet werden, um das Klärwerk zu entlasten.
Wardenburg wurde zu einer Pilgerstätte für andere Stadtverwaltungen. Hildebrandt war ein Star. Seine Verwaltung setzte engagiert um, was die Süddeutsche Zeitung seinerzeit in Verzückung geraten ließ. Dann zogen dunkle Wolken am Ökohimmel auf. Da war die Sache mit dem Puff. Mitten in Wardenburg, im historischen Zentrum, verhinderte ein Bordell die Dorfsanierung. Die Gemeinde kaufte die alten Häuser, um sie für viel weniger Geld an eine Oldenburger Baufirma zu verkaufen. Bis heute ist das Zentrum vernagelt und heruntergekommen. Möglicherweise soll jetzt in zwei Jahren saniert werden. Dann ging ein Erdwärmeprojekt in die Hose. Wegen technischer Mängel setzte die Gemeinde 500.000 Mark in den Kleiboden.
Das ungeheuerliche aber war: Hildebrandt weigerte sich, einen Stromversorgungsvertrag zu unterschreiben. Der sollte dem Atommulti EWE auf zwanzig Jahre das Recht zusichern, Wardenburg mit Storm zu versorgen. Einmal spekulierte Hildebrandt mit dem neuen, in diesem Jahr vom Bundestag verabschiedeten Energieversorgungs- gesetz. Das billigte jedem Verbraucher das Recht zu, sich den günstigsten Stromerzeuger zu suchen. Zum anderen war die Gemeinde mit einem Blockheizkraftwerk und einer Windernergieanlage selbst Stromerzeuger. „Wir wollten das ausbauen, schließlich sparte die Gemeinde durch die eigene Stromgewinnung 100.000 Mark im Jahr“, sagt Hildebrandt.
Die EWE brachte offensichtlich einige Gemeindepolitiker ins Schwitzen. 1995 liefen zwei SPD-Politiker zur CDU über. Die Kommunalwahlen 1996 brachten ein politisches Patt. CDU und FDP stellten als stärkste Gruppe den Bürgermeister. Seitdem gibt die FDP-Frau Oeltje-Bruns die politische Richtung vor. Zuerst unterschrieb sie den Vertrag mit der EWE. Dann schaffte sie das Umweltamt ab. „Die große Wende hat es nicht gegeben, schließlich binden uns noch Verträge“, bedauert die Bürgermeisterin, „aber da, wo wir können, setzen wir andere Akzente.“
Andere Akzente bedeutet, keine weiteren Blockheizkraftwerke, Ende des Solarbeleuchtungsprogramms für Schulbushaltestellen. Eine von Hildebrandt geplante Umweltschule ist vom Tisch. „Wir können die Wirtschaft doch nicht abschrecken“, sagt die Bürgermeisterin und will die ökologische Ausweisung von Gewerbegebieten zurücknehmen. Pflanzenkläranlagen werden nicht mehr gefördert.
Umsetzenmuß die neue Politik Martina Noske. Hildebrandt hatte sie als jüngste Gemeindedirektorin Deutschlands im Gemeinderat durchboxt. Jetzt stehen die beiden „dwars“zueinander, plattdeutsch für quer. „Hildebrandt macht mich dafür verantwortlich, daß er keine politische Mehrheit für seine Ideen gefunden hat“, beschwert sich Noske. Hildebrandt gibt dazu nur einen trockenen Kommentar ab und sagt: „Wendehals.“
Bei solch ausschweifendem emotionalem Gerangel ist es bis zur echten Farce nicht weit: Die Gemeinde will das Logo „Ökogemeinde Wardenburg“weiter verwenden. Die entsprechende Werbebroschüre dazu – aus Hildebrandts Zeiten – wird aber nicht mehr aufgelegt.
Thomas Schumacher
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