: Trikot aus dem Abfalleimer
Steine, Rasenstücke, zerfetzte Hemden, Schiedsrichterpfeifen und Lebertonikum: Das Heidelberger Rugbymuseum ist ein Kabinett der Kuriositäten rund um das Ei ■ Von Günter Rohrbacher-List
Als 1996 die Rugbyabteilung der Rudergesellschaft Heidelberg ihren Platz neben dem Heidelberger Zoo verließ und ein schickes neues Domizil im Süden der Stadt bezog, hatten die alten Nachbarn, der TSV Handschuhsheim und der SC Neuenheim, endlich genug Platz, um einen vernünftigen Trainingsbetrieb aufzuziehen. Sie teilten sich die drei Spielfelder. Und da stand plötzlich ein ganzes Clubhaus leer, und keiner wollte es mieten. Der Deutsche Basketballbund, der Schachclub Heidelberg winkten ab. Vielleicht würde die Stadtverwaltung noch heute nach einem Mieter suchen, wären da nicht die Rugbyverrückten Norbert Schick aus Ludwigshafen und Claus-Peter Bach, Sportjournalist der Heidelberger Rhein-Neckar- Zeitung, mit einer alten Idee herausgerückt.
Schon 1991 hatten die beiden darüber nachgedacht, all die Wimpel, Trikots, Krawatten und sonstiges, was beim Rugby so hin und her getauscht und geschenkt wird, auszustellen. Ihr Traum wurde wahr. Seit Mai 1997 betreibt das eigens hierzu gegründete Rugbyzentrum Heidelberg e.V. ein Rugbymuseum. Und endlich gibt es etwas mehr Platz in den privaten Gemächern der beiden Freunde. „In meinem Wohnzimmer sah es irgendwann aus wie in einem Vereinsheim“, erzählt Bach, der genau wie Schick keine Chance ausließ, von seinen Rugby-Reisen etwas Vorzeigbares mitzubringen. So besuchten sie anläßlich eines Länderspiels in Twickenham die Sportanlage der Rugby School, die Geburtsstätte ihres Sports. Der Zufall wollte es, daß just an diesem Tag dort ein Wasserrohr zerbarst. Der herbeigerufene Klempner mußte die Mauer, die den Platz umgibt, an einer Stelle aufstemmen. Wobei allerlei Gestein herausbrach, darunter auch zwei größere Stücke, von denen Schick und Bach den schönsten in einer Plastiktüte verschwinden ließen. Dem Klempner blieb nur ein mitleidiges Kopfschütteln.
Gut auch, daß niemand mit ansah, wie Schick am Morgen des 3. März 1991 das Trinkgelage nach den New Zealand RFC Sevens in Palmerston North verließ. Er kam an einem Abfalleimer vorbei, aus dem etwas herausragte. Ein unsensibler Zeitgenosse, überdrüssig der Gassen und Gedränge, hatte sein zerrissenes Trikot hineingestopft. Das „Trikot des unbekannten Rugbyspielers“ hängt jetzt zwischen den berühmten Farben bekannter Größen in Heidelberg. Zum Beispiel neben dem Leibchen des All-Blacks-Stars Jonah Lomu, das die Aufschrift des Biersponsors „DB Draught“ trägt. Brent Becroft, von 1994 bis 1996 Spieler des SC Neuenheim, ist ein Freund des gerade wieder in die Nationalmannschaft zurückgekehrten Spielers, der fast zwei Jahre lang an einer rätselhaften Bluterkrankung litt, die nun überstanden scheint.
Leidende hatte auch der Karikaturist Kriki vor Augen: Ein Spieler in einem gelben Trikot begehrt freie Bahn von zwei rot gekleideten Gegnern, um einen Versuch zu legen. „Laßt mich durch! Ich bin Arzt!“ Der bei den Adressaten einer anderen Devotionalie schon fast zu spät kommt. „20 Monsterpak prohep Livertonicum“ wird da angeboten „für die Behandlung von Leberzirrhose und chronischer Hepatitis, Leberschäden und Leberstress“. Der entsteht nach den ausgedehnten Trinkgelagen, wie sie nach glorreichen Rugbyspielen üblich sind. Ganz so ernst geht es bei „The Rugby Collection“ nicht zu. „Sin Bin Soap“ eignet sich für die allererste Dusche am Tag, darf aber auf gar keinen Fall zu Boden gehen. Es besteht höchste Rutschgefahr und eine längere Verletzungspause. Und „Talc for Men“ gibt es für Männer, die länger als 80 Minuten fit sein wollen. Die Firma Susetex aus Thailand bewirbt ihre „Rugger Rubbers Latex Condoms“ mit einem Zitat von Louis Pasteur: „Die Zukunft gehört denen, die am meisten für die Menschheit tun.“
Norbert Schick und Claus-Peter Bach gehören sicher dazu, zumindest was das Rugby angeht. Wer sonst begibt sich schon am Tag nach einem großen Länderspiel ein zweites Mal in den Süden Londons nach Twickenham, um unerkannt gemeinsam mit den Rasenpflegern den Boden zurechtzustampfen und dabei klammheimlich ein Stück Rasen verschwinden zu lassen? Der Stiefelwaschtrog vor dem Museum ist mit allerlei Gräsern bepflanzt. Wer dort tief Luft holt, kann den Duft des Newlands Stadium in Kapstadt einatmen oder das Parfum des Pariser Parc des Princes spüren. Aber auch lokal bedeutende Gräser sprießen hier, etwa ein Grasbüschel von der Stelle des Rugbyplatzes in Hürth bei Köln, von der aus Sascha Lück im Endspiel gegen Victoria Linden den entscheidenden Versuch für den SC Neuenheim gelegt hat.
Das vielleicht schönste Stück des Museums ist ein Motiv aus einer Vereinszeitung des Heidelberger RK von 1872. „Halbzeit“ heißt es und zeigt einen Rugbyspieler im rot-weiß gestreiften Dress, der an der Seitenbarriere lehnt und sich mit seiner schick behuteten Freundin unterhält. Bis die Pfeife des Schiedsrichters ertönt und die zweiten 40 Minuten ankündigt. Den Referees ist eine Vitrine gewidmet, in der eine Pfeife aus Birmingham aus dem Jahr 1913 ausgestellt ist, nebst einer gelben und einer roten Karte, die irgendwann einmal als Teigkratzer gedient haben dürften.
In den hinteren, nicht zugänglichen Räumen lagert noch manch verrücktes Mitbringsel. Aus dem altehrwürdigen Arms Park von Cardiff, der abgerissen wird und einer neuen Spielstätte für die Rugby-WM 1999 weichen muß, hat Norbert Schick zehn Stühle mitgebracht. Zwei werden im Museum als Sitzgelegenheiten installiert, der Rest wird Teil der neu zu errichtenden Tribüne im Heidelberger Fritz-Grunebaum-Sportpark. Als VIP-Sitze käuflich zu erwerben auf Lebenszeit.
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