: „Die deutsche Küche ist stehengeblieben“
■ Siegfried Rockendorf, umweltbewußter Spitzenkoch aus dem Berliner Norden, über die Kunst des nachhaltigen Essens, die Düsternis der gutbürgerlichen Küche und die kommende Restaurantkultur
taz: Herr Rockendorf, was werden wir im 21. Jahrhundert essen, wenn wir die Idee der Nachhaltigkeit ernst nehmen?
Siegfried Rockendorf: Nach 1945 war das einzige Bedürfnis, satt zu werden. Daraus hat sich eine Küche mit höchst kalorienreichem Essen entwickelt, mit der berühmten Mehlschwitze und einem enormen Kartoffelverbrauch. Das Eßverhalten war auf körperliche Leistung ausgelegt. Das hat sich geändert. Ein Kraftfahrer muß zum Beispiel nicht mehr seine Muskelkraft einsetzen, der hat eine Hydrauliklenkung, die er mit dem kleinen Finger bewegen kann.
Unsere Ernährung ist aber stehengeblieben – schauen Sie sich einen deutschen Speiseplan an: Linsensuppe, Erbsensuppe, Kohlroulade, Rinderroulade, immer wieder das gleiche. Das muß in leichtere, in weniger tierische Produkte, zu Salat und Gemüse umgelenkt werden. Dazu brauchen wir auch wieder Genuß und Respekt vor dem Produkt. Das müßte schon in den Schule beginnen. Ich finde es sehr wichtig, daß man den Kindern wieder beibringt, was Jahreszeiten sind. Fragen Sie mal in einer Schulklasse, wann Äpfel wachsen. Zu wissen, wann es Spargel, Erdbeeren oder Kirschen gibt, und sich danach zu richten, würde schon eine unglaubliche Ersparnis von Kerosin bedeuten. Ich habe keinerlei Verständnis dafür, wenn irgendein Spinner bei 24 Grad Minus eine Erdbeere haben möchte. Das gibt es auf meiner Speisekarte nicht.
Wer muß mit der neuen Eßkultur anfangen?
Der Verbraucher, indem er andere Wertigkeiten setzt. Das Angebot ist ja da. Nur ist Deutschland bisher noch kein Dienstleistungsland. Der Verbraucher muß bereit sein, für kulinarische Dienstleistungen zu bezahlen, und nicht sagen: „Der dreht einfach nur ein Kotelett um.“
Wir werden über kurz oder lang zu einer Eßkultur kommen, in der es zum einen einen riesigen Fastfood-Bereich gibt, der weit über Hamburger, Currywurst und ähnliche Dinge hinausgeht. Kulinarisch düster bestellt ist es auch um den heutigen Mittelstand mit Sauerbraten und Mutters deutscher Küche. Daneben dann die Spitzengastronomie mit gesunden, frischen Produkten von bester Qualität und ohne Gentechnik. Das, denke ich, wird die Küche des 21. Jahrhunderts werden: die Küche der Frische, der leichten Produkte – aber auch eine drastische Zunahme an Fastfood.
Wäre es für eine neue Eßkultur sinnvoll, wenn die Leute wieder mehr selbst kochen? Dann müßten sie ein neues Verhältnis zu Lebensmitteln entwickeln.
Viele Leute wissen ja gar nicht mehr, wie man selbst kocht, weder vom Einkauf noch von der Qualität, von der Zubereitung her. Nur am Wochenende kommen wir zum Kochen zurück, weil es jetzt ein Hobby ist. Wenn wir uns weiterhin so entwickeln, daß keiner mehr zu Hause ist, bleibt als einziges das Restaurant.
Die meisten von uns können das bisher nicht bezahlen. Wie könnte denn eine schöne Eßkultur der Zukunft aussehen, die für viele Menschen erschwinglich ist?
Volle Restaurants mit vielen strahlenden Gesichtern, einer tollen, leichten Küche, die auf den Menschen bezogen ist, auf Ernährungsbewußtsein, auf Vitalität, auf relativ hohes Alter. Zu Hause gibt es dagegen nur noch Imbisse, Snacks und Frühstück. Im Restaurant gibt es den Profi, der effizient mit der Energie umgehen kann, weil er gelernt hat, abzuschalten, nachzugaren. Im Unterschied zu zu Hause laufen die Herde hier 16 Stunden und sind richtig ausgelastet. Die neue Restaurantkultur findet in einem viel größeren Stil statt, als wir es gewohnt sind – mit 500, 800, 1.000 Plätzen. Dort werden in verschiedenen kulturellen Kategorien die Gelüste der Menschen befriedigt. Essen gehen erscheint dann plötzlich in einem ganz anderen Licht: Wenn man jeden Tag 1.000 Konsumenten zu versorgen hat, kann man energiesparende Geräte einsetzen und dadurch für jedermann günstige Preise machen. Dann ist das nicht mehr elitär. Ein Koch, der für einen Menschen kocht, kann das auch für zehn machen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen