Strafe für den Strafrichter

Lübeck: Liberaler Jurist soll gegen seinen Willen versetzt werden. Richtervereinigung spricht von „Mobbingentscheidung“  ■ Von Elke Spanner

Hamburg hat einen Richter „gnadenlos“, Lübeck einen Richter „unbequem“. Der fällt gerade nicht durch extrem scharfe, sondern durch liberale Urteile auf. Deshalb, so fürchtet Hartmut Schneider, soll er nun aufs Abstellgleis geschoben werden. Vor rund einer Woche legte der bisherige Strafrichter gegen seine „Strafversetzung“ans Zivilgericht Widerspruch ein. Morgen entscheidet das Präsidium des Landgerichtes darüber. Für den Fall, daß das Gremium an der neuen Stellenverteilung festhält, mit der es Schneider zum Jahreswechsel überraschte, hat dieser Klage angekündigt.

Wie ein Fels in der Brandung widersetzt sich Schneider seit Jahren der Mainstream-Rechtsprechung in Drogenprozessen, orientiert sich in seinen Urteilen weniger an den Vorgaben des Bundesgerichtshofes denn an seinem Fachwissen. Damit war er zunächst 1994 bundesweit in die Schlagzeilen geraten, als er vier Kilo Haschisch als „geringe Menge“eingestuft und den Besitz freigegeben hatte. Zwei Jahre später senkte seine Kammer erneut den Strafrahmen für Besitz, Handel und Einfuhr von Cannabis ab. Beide Urteile kassierte der Bundesgerichtshof wieder ein.

Nun plante Schneider, sich von oberster Stelle Rückendeckung zu holen. Er wollte drei Haschisch-Verfahren dem Bundesverfassungsgericht vorlegen. Die Zeichen standen gut, denn das höchste deutsche Gericht hatte im März 1994 einem Frankfurter Gericht bescheinigt, daß Richter die „geringe Menge“, in der man Cannabis straffrei bei sich tragen darf, neu definieren können. Doch Schneiders Akten drohen nun im Schrank zu verstauben. Seine Versetzung ans Zivilgericht versperrt ihm den Weg nach Karlsruhe.

Daß das eine mit dem anderen nichts zu tun habe, behauptet das Präsidium des Landgerichts, das die Entscheidung fällte. Ein Wechsel im Aufgabengebiet einzelner RichterInnen sei nicht ungewöhnlich, einen „Artenschutz“gebe es nicht. Daß es bei der Versetzung um mehr gehe als die Neuordnung eines Stellenplans, fürchten hingegen bundesweit JuristInnen.

Zugrunde liege zum einen ein Richtungsstreit in der Drogenrechtsprechung, zum anderen eine handfeste Auseinandersetzung über das Selbstverständnis von StrafrichterInnen. Schneider und dessen Kollege Wolfgang Neskovic, der ebenfalls 1992 mit seiner Drogenrechtsprechung für Aufsehen sorgte, verwehren sich nämlich auch dem „reinen Wiederkäuen der Urteile höherer Instanzen“, so Neskovic gestern gegenüber der taz. „Daß wir wagen, Gerichte zu kritisieren, die in der Hierarchie höher stehen, nehmen uns einige Richter übel.“Ulf Thiele, Sprecher der „Neuen Richtervereinigung“, spricht denn auch von einer „Mobbingentscheidung“. Der Schleswig-Holsteiner Landesverband der Vereinigung schalt den „Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit“und sicherte Schneider vollen Rechtsschutz zu.

Mit der „Strafversetzung“Schneiders wiederholt sich in Lübeck die Geschichte. 1992 wurde, erstmals in der Hansestadt, der Strafrichter Neskovic gegen seinen Willen ans Zivilgericht versetzt – ebenfalls nach liberalen Drogenurteilen, ebenfalls nach Vorlage vor dem Bundesverfassungsgericht.