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Alles extrem userfreundlich

■ Haßminister auf Friedenskurs oder Das Kampfgeschehen, revisited. Am Schauspielhaus Hamburg inszenierte Anselm Weber ein autorisiertes Best-of-Set von Rainald Goetzens "Krieg"

So harmonisch hat der Krieg noch nie geendet. Da springt der Dichter vors Volk, und das Volk bejubelt den Dichter. Der Dichter lächelt, ach was: strahlt, hüpft beglückt von einem Bein aufs andere, überwältigt von der Liebe, die ihm da aus dem Parkett entgegengeschleudert wird. Ein wenig überraschend ist das schon: Die da unten, das waren doch mal seine Feinde.

Als Rainald Goetz 1986 „Krieg“ verfaßte, war er glühender Minister des Hasses. Bereits drei Jahre zuvor hatte er das „lebendige rote Blut“ beschworen, „das irgendwo herausfließen müßte, damit alles einen Sinn ergebe“. Ließ sich das in Klagenfurt mit einer Rasierklinge durch die Stirn erledigen, brauchte „Krieg“ etwas länger: Um die „Wahrheitsgaskammer Theater“ eiskalt zu durchlüften, legte Goetz seine erste Arbeit für die Bühne als Trilogie an.

„Heiliger Krieg“ verhandelt Gewalt als notwendiges Argument in der entpolitisierten Gesellschaft; „Schlachten“ beschreibt die Familie als geschichtlich legitimierte Folter; „Krieg“ ist ein Monolog über die Todeskammerexistenz in inneren Widersprüchen. „Hirnlärm Vernichtung denkt es seit es in mir denkt.“ Das ist nun zehn Jahre her, und wir schreiben eine neue Dekade, die nach Goetz bereits das neue Jahrtausend einleitet. Der Minister des Hasses wandelt sich zum Prediger der Liebe. Techno heißt seine Religion, weshalb es nicht wundert, daß Anselm Webers „Krieg“-Inszenierung mit von Goetz eigenhändig hochgefahrenen beats per minute beginnt.

Nach jahrelanger Sperrung der Stücke hatte Goetz die Aufführung am Deutschen Schauspielhaus Hamburg überhaupt nur gestattet, weil zwischen Autor und Regisseur Einigkeit bestand, den Dramenkomplex komplett zu revisionieren und „auf das zu reduzieren, was heute diskutierbar ist“, so Weber. Die drei Stücke wurden – „nach dem Lustprinzip“ – in eins verwoben, 300 Seiten auf 50 zusammengestrichen, und dem Zuschauer wird, statt acht Stunden Texttortur bei der Bonner Uraufführung 1988, ein 60-Minuten-Remix serviert. Es folgt eine Pause, darauf 30 Minuten neuer Text, der das zuvor Gesehene reflektieren will. Alles extrem userfreundlich.

Raimund Bauer hat die Bühne über einen ansteigenden Steg weit ins Parkett hin verlängert. Darauf stehen acht Tische mit Plastikblumen, an einem sitzt Peter Brombacher, lallt und fällt vom Stuhl. So ist in den ersten drei Minuten das Thema umrissen: Auflösung, Sprache, Kontrollverlust, Suff. Am anderen Ende des Steges hat Bauer zwei Zapfhähne und ein Mikrophon ununterscheidbar auf einem Podest befestigt – ein Verweis auf die Goetzsche Weisheit, daß das einzige Mittel gegen den Rausch der Vollrausch sei.

Der aber wird sich nicht einstellen, denn über Bier und Verstärker sitzt am Mischpult der aufgeklärte Zweifel in Gestalt von Michael Weber, mit Kapuzenpulli und Kopfhörer ein Alter ego des Raverdichters Goetz. Wiederholt unterbricht er das redundante Bürgergefasel. „Ich wollte von früher erzählen“, ist sein Leitsatz. Was zum Teufel will er damit sagen? Daß damals alle Bürger blöde waren? Die Familie böse? Der einzelne allein? Daß Angst herrscht in den Städten und Köpfen, deren Schutzschild feiger Angriff war?

Goetz' grandios komponiertes Stimmengewirr bricht Dialoge einmal mehr in zeitversetzte Endlosmonologe. Doch als Best-of-Set läßt sich die Radikalität der drei Marathonstücke fast mühelos konsumieren. Schon 1993 hatte Anselm Weber mit seiner Hamburger „Kritik in Festung“-Inszenierung gezeigt, daß er Goetz' brachiale Satz-Versatzstücke in rhythmischen Fluß bringen kann. Und mit Brombacher, Matthias Fuchs oder Werner Rehm stehen ihm auch die richtigen Schauspieler zur Verfügung. Wenn aber zur Pause ein Fünfjähriger auf der Bühne „Die Welt ist eine Kloake. Der Mensch ist eine zerrissene Kreatur“ spricht, ist – trotz Büchner – die Grenze der Rührseligkeit erreicht.

Auch der Sprung in die Jetztzeit bleibt ein zaghaftes Hüpfen. Nichts gegen die Ablösung der 80er Apodiktik durch zeitweiliges Eingestehen der eigenen Insuffizienz. Auch das auf der Bühne gespielte „Leid- Skat“ der an Intimitätsexhibitionismus leidenden TV-Gesellschaft amüsiert. Dann aber kommt es parabelknüppeldicke: „Treffen sich Moral und Alltag und geraten sofort in Streit. Kommt die Einsicht vorbei...“ Gemeinsam stolpern sie umweglos in klamaukige Betulichkeit. „Unglücklich bin ich allein; das kann doch nicht Sinn des Sozialen sein“, zitiert sich der 43jährige G. eben noch selbst aus seinem Zeit-Magazin-Artikel über die Love Parade – dann ist es auch schon Zeit für einen sinnfälligen Schlußsatz. „Noch ein Wort zum Kummer“, verrät der Dichter da: „Ich habe heute nacht vom Krieg geträumt.“ Tatsächlich aber wurde er danach gefeiert, als ob er diesen soeben beendet hätte. Christiane Kühl

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