Das Niedersachsen-Roß ist gesattelt

In Niedersachsen starteten Grüne und SPD ihren Wahlkampf. Über 11.000 Zuschauer lauschten den Reden von SPD-Chef Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder. Kanzlerkandidatur wird „freundschaftlich entschieden“  ■ Aus Hannover Jürgen Voges

„Piepegal ist mir, ob bei der Niedersachsenwahl auch über den Kanzlerkandidaten der SPD entschieden wird“, so polterte der Grüne Joschka Fischer, als er am Freitag in Hannover den Landtagswahlkampf seiner Partei eröffnete. Viele Niedersachsen sahen das dann gestern anders. Über 11.000 Menschen kamen zum SPD-Wahlkampfauftakt auf den hannoverschen Schützenplatz, um das SPD-Spitzenduo Oskar Lafontaine/Gerhard Schröder zu sehen. Beim Grünen-Wahlkampfauftakt mit Fischer und der niedersächsischen Spitzenkandidatin Rebecca Harms kamen am Freitag abend gerade einmal dreihundert Zuhörer in einen Theatersaal in Hannover. Am Sonntag in den SPD- Wahlkampfzelten sorgten nach Artistik und rhythmischer Musik vor allem die rhetorischen Qualitäten Lafontaines für kämpferische Stimmung. „Dieser Auftakt zeigt, Gerhard Schröder wird diese Wahl gewinnen“, rief der Saarländer den dichtgedrängten jubelnden SPD- Massen zu. Von Niedersachsen wolle die SPD auch eine andere Politik in Bonn auf den Weg bringen, zuvor auch die Wahlen in Sachsen-Anhalt gewinnen, danach in Bayern „Edmund Stoiber die Lederhosen ausziehen“.

Die hohe Arbeitslosigkeit sei eben nicht das Ergebnis der Globalisierung, sondern einer falschen Politik, man dürfe auf sie eben nicht mit einem Wettbewerb um niedrigere Löhne, niedriger Sozialleistungen und niedriger Steuern antworten. Statt dessen brauche man einen Wettbewerb um die besten Schulen, Straßen und Verwaltungen. Gegen das Schlagwort Shareholder Value setzt der SPD- Vorsitzenden die Forderung nach Unternehmern, die „zuerst der Gesamtgesellschaft und den Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verantwortlich sind“. Steuergerechtigkeit, Ende der Umverteilung von unten nach oben, eine neue Energiepolitik — das waren die weiteren Themen, mit denen Lafontaine, immer wieder von Beifallsstürmen unterbrochen, den Aufschlag zum Wahljahr gab.

Weit weniger Beifall konnte danach der eigentliche Matador des Tages, Gerhard Schröder, verbuchen. Der Niedersachse fand wieder einmal nicht den rechten Draht zum Publikum und trug seinen Text durchgängig lautstark vor. Bei den Wahlen am 1. März gehe es „um unser schönes Land Niedersachse, aber auch um den Startschuß für eine andere Politik in Bonn“. Er warnte davor, angesichts der guten Umfragen die Wahl am ersten März schon für gewonnen zu halten. Schröder vermied zwar einen direkten Bezug zur Kanzlerkandidatur, meinte aber sibyllinisch, dies werde „freundschaftlich entschieden“.

Schröder lobte seine Politik als „feste Orientierung an den Interessen der Arbeitnehmer“. Beispielhaft nannte er die Interventionen zugunsten der Flugzeugwerft in Lemwerder und den jetzt geplanten vorübergehenden Aufkauf der Preussag Stahl AG durch das Land. Schröder verteidigte diese beiden Arbeitsplatzrettungsaktionen gegen die Kritik, hier ginge es um eine dauernde Verstaatlichung von Unternehmen.

Welcher Hälfte des derzeitigen SPD-Kanzlerkandidatenduos die Grünen den Vorzug geben, hatte Joschka Fischer schon am Freitag abend beim Wahlkampfauftakt seiner Partei deutlich gemacht. Schröder sei der Kanzlerkandidat der SPD, „wenn es um eine Fortsetzung der Politik von Helmut Kohl gehe“. Wirtschaftspolitisch verortete der Bonner Grünen- Chef den Niedersachsen auf gleicher Höhe mit Günter Rexrodt. Wie der Bundeswirtschaftsminister glaube auch Schröder, daß „Wirtschaft nur in der Wirtschaft“ stattzufinden habe, unkte Fischer. Der Bezinpreis von fünf Mark, den die Grünen langfristig und schrittweise anstrebten, sei für den Automann aus Hannover, „das Schreckgespenst schlechthin“. Dabei führten gerade höhere Energiepreise zu technischer Innovation. In Fischers Augen wird bei der Niedersachsenwahl am 1. März „bundespolitische Geschichte geschrieben“. Allerdings nicht, weil „sich auf seiten der SPD ein Kandidat zur Wahl stellt, der sich zu Höherem berufen fühlt“, sondern weil in Niedersachsen für Fischer ein Wahljahr beginnt, in dem über „die sozialen und ökologischen Zukunftsfragen“ der Bundesrepublik, über die Alternative „solidarische Gesellschaft“ oder „neuer Rassismus“ entschieden wird.

Die Grünen-Spitzenkandidatin Rebecca Harms nannte Schröder einen „Automann und Automanen“, der keinen Umweltschutz wolle, von einer Ökopause schwadroniere. Schröder habe in den letzten Jahren alle Spuren der erfolgreichen Politik beseitigt, die das rot-grüne Bündnis zwischen 1990 und 1994 in Niedersachsen gemacht habe. Harms plädierte dennoch für eine rot-grüne Koalition an der Leine und in Bonn. Euphorie treibe sie bei einer solchen Koalition aber nicht.