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Ungehemmte Freßlust dank Bio-Bratwurst

Auf der Grünen Woche gibt es in diesem Jahr erstmalig einen Bio-Markt mit rein ökologisch hergestellten Produkten. Naturkostläden machen gute Umsätze und bieten immer professioneller ihre Waren an  ■ Von Julia Naumann

In Halle 7.2a kann man noch richtig reinhauen. Und das völlig umsonst. Während die gierigen BesucherInnen in den meisten anderen Hallen auf der Grünen Woche mit Häppchen oft nur noch zögerlich verköstigt werden, herrschen auf dem „Bio-Markt“ fast paradiesische Zustände. Hier kann noch abgegriffen werden, was das Zeug hält: knusprige Maronenbratlinge, Öko-Brot mit Tofuaufstrich, Jogurt von glücklichen Kühen mit Capuccinogeschmack, Bratwurst vom Bio-Schwein... Und die Leute finden das gesunde Essen klasse, vor den Ständen bilden sich Menschenmassen. Es wird geschubst und gedrängelt, wenn wieder ein neuer Schwung Dinkelburger ausgeteilt wird.

„Wir bieten bewußt viele Proben an, um den Menschen Naturkostware auch auf der Grünen Woche näherzubringen“, sagt Marita Odia, Sprecherin der Bundesverbände Naturkost Naturwaren (BNN). Und dafür werden anscheinend keine Mühen gescheut: Es ist wohl der größte Bio-Markt, der hier erstmalig aufgebaut ist. Praktisch jede Naturkostfirma ist hier vertreten, die Stände werben professionell mit Infobroschüren, Wimpeln, freundlichen Hostessen – und eben Häppchen en masse.

„In dieser Form ist es das erste Mal, daß wir uns so präsentieren“, sagt Odia, und es liegt etwas Stolz in ihrer Stimme. Immerhin seit drei Jahren gibt es schon die „Giftgrüne Woche“ nicht mehr, die 14 Jahre lang als Alternativveranstaltung über artgerechte Tierhaltung und ökologischen Anbau informierte. Der Bio-Markt auf der Grünen Woche sei das Ergebnis eines „langjährigen Akzeptanzprozesses“ der Betreiber der Grünen Woche und der Bauernverbände, resümiert Odia.

Doch natürlich soll es auf dem Bio-Markt nicht nur ums „Probenabgreifen“ gehen, sondern auch das Verkaufsgespräch spielt eine wichtige Rolle. „Wir klären die Kunden erst über den Joghurt auf und bieten dann eine Kostprobe an“, sagt ein Mitarbeiter der Molkerei Söbbeke. Denn die BesucherInnen in Halle 7.2a sind wahrhaftig nicht nur Öko-Freaks, die sowieso im Bio-Geschäft einkaufen, sondern auch die klassischen Grüne-Woche-BesucherInnen: Muttern und Vattern, schon leicht ergraut, mit Plastiktüten voller Werbezetteln bepackt, die mal was Neues ausprobieren wollen. Insbesondere diese Klientel soll angesprochen werden.

Doch auch den klassischen Naturkostkunden gibt es schon lange nicht mehr: „Nur noch 30 Prozent unserer Kunden haben beim Kauf ökologische Motive und kommen aus dem alternativen Milieu“, weiß Marita Odia. „Der Umsatz wird mit den Menschen gemacht, die aus persönlichen Gründen Bio- Food kaufen.“ Der Griff zum Öko- Joghurt und dem Öko-Ei erfolgt also nicht wegen der glücklicheren Kühe und Hühner, sondern aus rein egoistischen Motiven? Odia bezeichnet das Herangehen an Lebensmittel als eine sehr emotionale Angelegenheit. Nach Skandalen wie BSE gehe der Umsatz hoch und sacke dann auch wieder ab.

Für Burkhard Paschke vom Terra Naturkost Frischdienst haben sich die ersten paar Tage auf der Grünen Woche schon „total gelohnt“. Berlin mit rund 100 Bio- Läden sei, so der Großhändler, ein sehr guter Markt, der Umsatz sei steigend. Sechs bis sieben Läden, überwiegend im Ostteil der Stadt würden pro Jahr eröffnet. Die Food-Coops und Einkaufskooperativen, die ökologische Produkte billiger anbieten, verunsicherten zwar die HändlerInnen, nähmen aber kaum Marktanteile weg. Eher verändere sich der Markt durch Bio-Produkte im Supermarkt, sagt Odia. Die BNN-Sprecherin hat jedoch keine Bedenken, daß dadurch die Einzelhandelsgeschäfte zerstört werden könnten. „Wir haben ein größeres Sortiment und eine bessere Beratung.“ Frischprodukte (Brot, Milch, Obst und Gemüse) machten 1995 45 Prozent des Umsatzes aus, Trockenprodukte 39 Prozent – wobei Getreidekost hier zum Spitzenreiter gehört. Im Trend liegen derzeit Grüner Tee und Yogi-Tee. Kurzfristig begehrt seien auch Waren, die in Frauenzeitschriften angepriesen würden, zum Beispiel Teebaumprodukte.

Doch auf einen Riesenumsatz haben es anscheinend doch nicht alle Firmen in Halle 7.2a abgesehen. So verfolgte der Pasten- und Bratlinghersteller Bruno Fischer, der mit Bibelsprüchen auf seinen Packungen wirbt, am Samstag höhere Ziele. Er ließ seinen Stand einfach leer, verteilte keinen Curry-Aufstrich und verkaufte keine Bratlingmischungen. Fischer, der zu der evangelischen Freikirche der Adventisten gehört, ließ statt dessen Flugblätter liegen. Auf denen steht: „Wir feiern heute Sabbat“. Für die Adventisten sei der Samstag ein Feier-Tag mit Familie und Gottesdiensten. Und dann gab er den gehetzen MessebesucherInnen noch einen weisen Rat: Auch wenn es verrückt erscheinte, am Messe-Samstag zu ruhen, sage die Erfahrung, daß diese Ver-rücktheit eigentlich ein Zurecht-Rücken der Seele sei.

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