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„Ai Penktle machsch no, Ghani!“

Leben in der Bundesliga (IX): Mit Hilfe eines Schrotthändlers steht der multinationale Ostalbklub Germania Aalen vor seinem zweiten Ringer-Mannschaftstitel in Folge  ■ Aus Aalen Basil Wegener

Immer wieder sonntags wachsen tief in Schwaben Laute zusammen, die eigentlich noch nie so recht zusammengehörten. „Auf, Ghani, ai Penktle machsch no!“ brüllen sie dann in Aalen auf der Ostalb. Oder „Häb di, Amiron!“ (Hebe dich an, Amiron!) Sonst ist man auch hier oft nicht sonderlich erbaut über das Interesse, das diesem Landstrich von zu Deutschen gewordenen Osteuropäern und anderen Einwanderern entgegengebracht wird. Doch für ihre Ringer haben sich die Aalener sogar die fremden Namen gemerkt.

Am Sonntag konnten sie ihr Fachvokabular wieder einmal gellend einsetzen, denn der KSV Germania Aalen rang sich im Halbfinal-Rückkampf gegen den VfK Schifferstadt mit 22:4,5 ins Bundesliga-Finale durch (Hinkampf 18:8). Doch ohne ihre Fähigkeit zur Selbstmotivation wäre die Stimmung in der Fangemeinde wohl weit dröger gewesen. Nicht nur bei Halbfinalgegner Schifferstadt (siebenmal Meister) ist nichts mehr wie einst, seit Macher Robert Litzenburger tot ist. Der Liga mangelt es überhaupt an Schmackes.

Für seine überschaubare Anhängerschar ist die klassische Olympiadisziplin feinstes körperliches Schachspiel voller teils versteckter Kraft. Beim Ringen, dem Arbeitersport, gewinnt der Ehrlichste und Beste, sagen sich die Arbeiter. Daß diese Eigenschaften alleine aber nicht die Gunst des Publikums – und die des Fernsehens – bringen, stört Aalens Trainer Ahmet Cakici (35) nicht: „Im Fußball gibt es eben viele Schauspieler“, sagt er lakonisch. Das sieht der Vereinschef anders. Karl Maier glaubt: „Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind verpflichtet, die kleineren Sportarten zu präsentieren.“ Ganz wider den Zeitgeist zum Spektakel. Allerdings ist der große Vorsitzende des schwäbischen Vereins nicht unschuldig am wenig spektakulären Außenbild der Liga.

1995 war der KSV Germania ganz unten. In der Bundesliga schaffte es der Meister von 1984 und 1979 nicht einmal mehr ins Halbfinale. Maier tat also, was getan werden mußte, schickte ein halbes Dutzend seiner Athleten samt Trainer in die Wüste und ging verschärft auf Sponsorensuche. Dies war zwar „harte Knochenarbeit“, sagt der Vereinsboß, denn imagefördernd ist das Bezahlen von Ringern nur in Grenzen.

Den Besitzer einer gutgehenden Schrottpresse, nicht weit von der Aalener Sporthalle entfernt, störte das wenig. „Die Ringer brauchen Sponsoren“, stellt Uli Scholz lakonisch fest. Der Schrott- Unternehmer wurde Matten-Mäzen. Und seit diesem Glücksgriff geht es für Aalen nach oben.

Fußball kennt eh jeder. Die taz untersucht: Wie lebt es sich in anderen Bundesligen? Bisher erschienen: Judo (30. April), Faustball (27. Mai), Baseball (10. Juni) Mountainbike (2. September), Kegeln (14. Oktober), Squash (28. Oktober), Curling (18. November), Rollhockey (18. Dezember)

Während die Liga abflachte, hatte man auf der Ostalb die Mittel, um allerhand Spitzenringer aus den EU-Staaten einzukaufen. Für Maier (55) ist der damit realisierte Aufschwung sein Geld wert. Der Verwaltungschef einer örtlichen Krankenkasse ist mit dem Ringen im Aalener Traditionsverein groß geworden, zwei Brüder bekleiden wichtige Funktionen. „Jeden Feierabend gehe ich in die Sporthalle“, sagt der mit seinem schneeweißen Haar sehr distinguiert aussehende Gschaftlhuber. Daß die „Ostalb-Bären“ mittlerweile eher vom Bospurus, aus Griechenland oder Italien kommen, vermiest den Aalener Fans die Stimmung am Ringen auch gar nicht. Bloß denen der Gegner. Sie kommen aus Orten, die Köln-Worringen heißen, Reilingen, Mömbris-Königshofen oder auch Luckenwalde – und verlieren.

Und wie lange werfen die Aalener Fans ihre Fäuste noch kampfeslustig in die Luft? Schreien choralartig „Blau passiv!“, um dem Kampfrichter anzuzeigen, daß die blaugedreßten Gegner gestraft gehören? Pfeifen das Schiedsgericht aus, weil sie ihre Mannschaft ungerecht behandelt fühlen? Wo diese doch eh immer haushoch führt.

„Andere Mannschaften sollen nicht als Kanonenfutter dienen, und sie werden gucken, daß sie zu Munition kommen“, sagt Maier zwar. Und als Aalen letztes Jahr den AC Bavaria Goldbach im Finale besiegte und als Meister und Branchenführer ablöste, behauptete er auch schon mal, seine Mannschaft sei durch ein „Stahlbad“ gegangen. Doch heuer nützt alle branchenübliche Kriegsmetaphorik nichts mehr.

Der Gegner im Finale ist zwar erneut Goldbach (24. Januar in Aschaffenburg bei Goldbach, 31. in Ellwangen bei Aalen), und KSV-Trainer Cakici betont auch, alles sei offen. Aber der achtfache Meister konnte Witten nur gerade so schlagen (10:15 und 16:8,5) und sich durch die lukrative Finalteilnahme „die Zukunft wieder sichern“, wie Trainer Gerhard Weisenberger sagt. Aalen dürfte den zweiten Titel in Folge holen.

Warum hat der Ringsport so an Reiz verloren? „Die Verantwortlichen des Weltverbandes haben ihn nicht salonfähig gemacht“, sagt Cakici, „sondern ständig die Regeln geändert.“ Doch für ihn ist es ausgemacht, daß das Publikum eh nur auf seine Kosten kommt, wenn die eigene Mannschaft richtig gut ist. Das ist sie derzeit. Aber: „Wir stehen immer mit einem Bein am Abgrund“, gibt der Trainer zu. Die Abhängigkeit von dem einen Hauptsponsor ist groß. Und mit ihm die von den teuren Einkäufen, die sich die Vereine aus einem überschaubaren Kreis an Weltspitzenringern aussuchen. „Wir müssen uns wieder stärker um gute junge Nachwuchskräfte kümmern“, sagt Cakici.

Da stimmt ihm Thomas Zander (30) zu, als Weltmeister, Olympia- Zweiter – und Schwabe –, das Aushängeschild Aalens. Doch der hauptberufliche Polizist weiß, daß das „ganz schöne Taschengeld“, das man beim Ringen verdient, den Nachwuchs wenig reizt. Den nötigen Hang zur Schinderei hätten ihm vor allem ausländische Athleten nahegebracht. „Die Deutschen sind heute zu verwöhnt und wollen nicht mehr hart trainieren“, sagt er. „Europa wächst zusammen“, jubelt derweil die Aalener Vereinszeitung. Der Grund des Jubels: Die Europäer sind mit den urdeutschen Tugenden ausgestattet, manche Deutsche dafür mit der nötigen Börse.

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