: König Kiesl sitzt nur da und schweigt
Der frühere Münchener Oberbürgermeister Erich Kiesl, einer aus der Garde der affärenerprobten bayerischen Amigos, steht wegen dunkler Grundstücksgeschäfte und uneidlicher Falschaussage seit gestern vor Gericht ■ Aus München Stefan Kuzmany
Warum sind Prozesse keine Schneeballschlachten? Draußen schneit es dicke Flocken, und drinnen, im Schwurgerichtssaal des Landgerichts München I an der Nymphenburgerstraße, würde Erich Kiesl den Staatsanwalt Johannes Nagorsen mit Klumpen aus Schnee und Eis bewerfen, für jeden Anklagevorwurf einen: Steuerhinterziehung – batz, Untreue – zack –, uneidliche Falschaussage – wumm. Im Anschluß würden seine Anwälte den Staatsdiener noch kräftig einseifen. Nagorsen hätte keine Chance. Ganz allein sitzt er hinter seinem Tisch, gegenüber die Verteidiger und der Angeklagte, die haben viel höhere Papierstapel vor sich liegen und können wesentlich wichtiger ihre Brillen auf- und absetzen als er.
Aber so einfach ist es natürlich nicht. Selbst wenn die Strafprozeßordnung ein solches Vorgehen erlauben würde. Selbst wenn Erich Kiesl (67), Ex-Oberbürgermeister und noch CSU-Ehrenvorsitzender von München, am Dienstag mal wieder zu einer kleinen Rauferei aufgelegt gewesen wäre. Schließlich hatte er angeblich am vorletzten Sonntag vor zehn Tagen noch Polizisten beschimpft und in diesem Zusammenhang nach seinem Küchenmesser gesucht. Also, selbst wenn – Kiesl kann nicht. Früher wegen seiner selbstherrlichen Amtsführung im Münchener Rathaus nur „König Kiesl“ genannt, ist er heute ein kranker Mann mit einem schwachen Herzen. So gestaltet sich der Prozeß ungleich komplizierter – und langweiliger.
Ein anwesender Arzt empfiehlt dem Patienten Kiesl, der nach seinem sonntäglichen Ausfall eine Herzattacke erlitten hatte, bei Unwohlsein einfach die Beine hochzulegen oder spazierenzugehen, „da fühlt er sich dann wohl“. Aber diesen Gefallen tut Kiesl den zahlreichen Journalisten und Kamerateams nicht. Still sitzt er da und hört sich die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft an. Diese gründen auf zwei Grundstücksgeschäften des Politikers aus dem Jahr 1990. Laut Anklage hatte Kiesl damals für den An- und Verkauf eines Grundstückes in Unterschleißheim zwar eine Provision von einer Million Mark erhalten, beim Finanzamt aber nur 750.000 Mark angegeben. Im bereits vergangenen Verfahren gegen seine ehemaligen Geschäftspartner bestand Kiesl auf seiner Einlassung, er habe die zusätzlichen 250.000 Mark nicht erhalten – so gesellt sich zur Steuerhinterziehung (insgesamt soll er den Fiskus sogar um 471.306 Mark betrogen haben) noch eine uneidliche Falschaussage.
Der zweite Grundstücksdeal war noch schlauer eingefädelt. Um die Gläubiger der Braunschweiger Firma TLS, damals zu 57,5 Prozent in den Händen Kiesls, zu prellen, verkaufte Kiesl den laut Anklage „einzig nennenswerten Vermögenswert“ der TLS KG, ein Grundstück in Braunschweig, an eine Pro Terra KG – und das weit unter Wert. Auch bei der Pro Terra hielt Kiesl 57,5 Prozent der Anteile. Die TLS, der aus der Transaktion aufgrund geschickter Manipulation keine Barmittel zugeflossen waren, meldete daraufhin Konkurs an. Für die Gläubiger des Unternehmens gab es hier nichts mehr zu holen, und auf die Pro Terra hatten sie keinen Zugriff. Weil Kiesl auf diese Weise die TLS KG laut Anklage absichtlich in den Ruin geführt hat, habe er sich der Untreue schuldig gemacht.
So kompliziert Kiesls zwielichtiges Geschäftsgebaren damals war, so schwer ist es heute, ihm das nachzuweisen. Und wer soll das alles noch verstehen? Da sind alle Anwesenden dankbar für die Pausen, die wegen der angeschlagenen Gesundheit des Angeklagten im Halbstundentakt eingelegt werden müssen. Dankbar nimmt jeder dann ein vorbereitetes Schreiben der Verteidiger entgegen und spart es sich als Lektüre für die weitere Verhandlung auf. Es bezieht sich auf den sonntäglichen Ausfall Kiesls und bringt Dinge ans Licht, die in den Medien bisher völlig untergegangen waren. „Herr Kiesl wollte gerade mit seiner Frau in die Kirche gehen“, heißt es da, „als er fremde Männer in seinem Garten bemerkte. Ehe er sich ein Bild von diesem merkwürdigen Umstand machen konnte, wurde schon die Haustür sturmartig geöffnet.“
Schwer werden es vor allem die beiden Schöffinnen haben, die neben den drei Berufsrichtern der 4. Strafkammer über ihren ehemaligen Stadtvater zu Gericht sitzen. Während der Vorsitzende Richter Hans Karl Schmid aufregende Protokolle von TLS-Gesellschafterversammlungen verliest, blicken die Laienrichterinnen duldsam vor sich hin. Eine der beiden sitzt ganz in der Nähe des Angeklagten. Mißmutig mustert sie ihn, runzelt die Stirn, und rein äußerlich erinnert sie dann ein wenig an den dahingeschiedenen großen Vorsitzenden FJS. Der hätte sich wenigstens nicht erwischen lassen.
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