Der Gitarrist als Tonmeister

■ Gary Lucas zwischen High-Tech und akustischem Purismus

Das Evangelium besteht für ihn aus sechs Saiten. Und seine Religion praktiziert der Amerikaner am liebsten alleine auf der Bühne: Versunken im Land der Klangmalerei hat der virtuose Gitarrist Gary Lucas jetzt das dreitägige „Guitar-Special“im Vegesacker KITO eröffnet.

Berührungsängste sind für Lucas ein Fremdwort. Deshalb konfrontiert er sein Publikum schon mal gerne mit der Ouvertüre aus Wagners „Tannhäuser“– solo per Gitarre, versteht sich. Auch ansonsten bewegt sich der Mann gerne zwischen den Stühlen. So ist sein Stil, zum Leidwesen der Musik-journaillie, nur schwer auszumachen; die Begriffe Rock, Jazz, Blues, Country und Klassik leisten nur eine unzureichende Hilfestellung.

Mit seiner CD „Evangeline“sicherte sich Gary Lucas im vergangenen Jahr einen Platz im Olymp der Gitarristen. Die Kritik war begeistert. Im KITO hielt sich der Enthusiasmus der Zuhörerschaft jedoch zurück – zu groß war der Spagat, den der ehemalige Sideman so illustrer Underground-Künstler wie Lou Reed, Nick Cave oder Iggy Pop wagte.

Die akustischen Puristen verschreckte Lucas mit apokalyptischen E-Gitarren-Einlagen, die er mit modernster Technik live auf der Bühne einspielte und bearbeitete. Diese High-Tech-Ausbrüche faszinierten jedoch wegen ihrer Vielschichtigkeit.

Wütend krachten da Tongesamtheiten aufeinander los, feilten sich Strukturen gegenseitig ab. Es regierte ein metallisches Chaos, das Lucas mit wilden Überblendungstechniken immer wieder zu steigern vermochte. Nichts für zarte Seelchen indes: Aber ab und an entstieg auch eine zuckrige Melodie dem Szenario. Dann klarte sich der Gitarrenhimmel auf und machte Platz für Romantik. Kitsch pur – aber schön.

Wer mehr von der krachenden Disharmonie erwartet hatte, wurde ebenfalls verschreckt. Denn wann immer Lucas auf die akustische Klampfe oder die Steel-Guitar umstellte, präsentierte er halsbrecherische Songs im Fingerpicking-Stil, triefende Countryballaden – wie ausgewechselt lebte Lucas die andere Seite seiner Musikbesessenheit vor. Daß er dabei jedwede Spieltechnik beherrschte und nicht inszenierte, unterstrich, daß für ihn Technik keinen Selbstzweck darstellt.

Unter diesem Gegensatz – High-Tech hier, Purismus dort – litt das Konzert ein wenig. Gary Lucas pendelte, ohne irgendwo anzukommen. Doch so ist er halt, der Saitenmagier. Recht wollte er es ohnehin niemandem machen. „Busy Being Born“soll seine im Frühjahr erscheinende neue CD heißen. Wohin wohl diesmal das Pendel ausschlagen wird? Stephan S. Hespos

Die Reihe guitar special endet im KITO heute abend mit dem Auftritt des Briten Fred Frith (20 Uhr)