: Kugeln, liebevoll verschossen
■ Goldener Löwe für „Hana-Bi“, denn so schönes Sterben war noch nie
Der Mann spricht nicht. Er sagt nichts, als ihm der Arzt den nahen Tod seiner Frau ankündigt. Er schaut still vor sich hin, als er erfährt, daß sein Polizeikollege und Freund Horibe bei einem Einsatz schwer verletzt wurde. Detektiv Nishi, Hauptfigur in Takeshi Kitanos neuem Film „Hana-Bi“, der in Venedig den Goldenen Löwen bekam, scheint seine Gefühle irgendwo in einem geheimen Schatzkästchen verborgen zu halten. Nicht daß sein Gesichtsausdruck leer wäre. Ja, er kann sogar die Mundwinkel zu einer Art Lächeln verformen, etwa wenn er sich auf seinen ersten Bankraub freut. Da ist er schon als Polizist suspendiert, und seine Ex-Kollegen rasen mit Blaulicht auf der anderen Straßenseite vorbei. Falsche Richtung. Längst ist er unerreichbar. Wie einer, bei dem man sich auch nicht weiter wunderte, wenn er plötzlich engelsgleich den Fluchtweg fliegend zurücklegte.
Hanabi zusammengeschrieben heißt auf japanisch Feuerwerk. Die Rakete, die Nishi und seine Frau auf ihrer letzten Reise vor ihrem Kleinbus abfeuern wollen, zündet zunächst natürlich nicht. Worüber beide lachen. Ein Feuerwerk in Zeitlupe ist Kitanos Film selbst. Denn um Hana-Bi, Blume und Feuer, Leben und Tod, zusammenzuführen, müssen Schüsse fallen und muß Blut fließen. Geld erpressende, einfältige Yakuza mit Höchstzinssätzen müssen vom Leben zum Tode befördert werden. Diese Prozedur hat nichts mit Verachtung oder Brutalität zu tun. Auch Hektik ist überflüssig. Als Nishi vom tumb auf seinem Schrottplatz herumtrottenden Tesuka ein geklautes Taxi kauft und dies zum Streifenwagen umspritzt, denkt man kurz, nun würde der Ex-Cop zum rachwütigen De Niroschen Taxi Driver. Aber wenn er von einem Moment zum andern die neu gekaufte Pistole zückt, deren Karton wie eine Spielzeugverpackung zu Hause auf dem Tisch liegt, dann ist das ein Akt der Zuneigung und der Gnade. Denn eine höhere Anerkennung, als von Nishi erschossen zu werden, kann keinem zuteil werden. Der Akt der Transformation, der erlösenden Verbindung von Hana und Bi, kann nur durch fliegende Kugeln geschehen. Besonders hassenswerte Personen, die einem die Freunde verkrüppelt haben, bekommen ein ganzes Magazin Blei in den leblosen Körper gepumpt. Untere Kredithai-Knallchargen müssen sich damit begnügen, von Nishi wortlos an der Sushi-Bar- Theke die Eßstäbchen ins Auge gerammt zu kriegen.
Plötzlich lustig wird's, wenn ein kleinerer Transporter von einem größeren von der Straße geschubst wird, der Unschuldige sich demütig beim Mächtigen entschuldigt und der sich mit einem weiteren Kotflügelstupser bedankt. Aber es wird keiner erschossen. Flucht vor Nishis Kugeln ist nicht unmöglich, aber unnötig. Denn vor dem Tod kann man nicht weglaufen. Wenn der Sensenmann sein Pulver bei einem vorherigen Kandidaten schon verschossen hat, dann macht der Abzug des Revolvers eben nur klick, und du lebst noch eine Zeit. Kein Grund, sich groß aufzuregen. Nishis Schüsse sind die höchste Form der Zärtlichkeit. Am Ende der Reise mit seiner Frau, am Meer, braucht Nishi noch zwei Kugeln, dann sind Hana und Bi vereint. Andreas Becker
„Hana-Bi“. Regie Takeshi Kitano. Mit Beat Takeshi, Kayoko Kishimoto u.a. Japan 1997
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