Katholische Beratung notfalls „gegen den Willen des Papstes“

■ Protestwelle in der katholischen Kirche gegen Roms Dekret zum Ende der Schwangerenkonfliktberatung

Berlin (taz) – Mit ungewohnt deutlichem und lautstarkem Protest haben gestern weite Teile der Katholischen Kirche in Deutschland auf die Pläne zum Ausstieg der Kirche aus der Schwangerenkonfliktberatung reagiert. Vor der Beratung der Deutschen Bischofskonferenz am Montag in Würzburg und bevor der Wortlaut des Schreibens aus dem Vatikan überhaupt bekannt ist, sprachen sich Bischöfe, Theologen, Politiker und die innerkirchliche Opposition für den Verbleib der Kirche in der Beratung aus. Das „apostolische Schreiben“ von Papst Johannes Paul II. an die Deutsche Bischofskonferenz soll nach Angaben aus Kirchenkreisen in sehr bestimmter Form darauf drängen, daß kirchliche Stellen keine Beratungsscheine mehr ausstellen, die für eine Abtreibung notwendig sind. Der Wortlaut des Schreibens und eine Entscheidung der deutschen Oberhirten sollen erst nach diesem Wochenende bekanntgegeben werden.

Der Bischof der Diözese Rottenburg- Stuttgart, Walter Kasper, erklärte, er „befürworte trotz aller Vorbehalte die Fortführung der Konfliktberatung für Schwangere im staatlichen System“. Der Berliner Kardinal Georg Sterzinsky verwies auf die „enorme Wichtigkeit“ der jetzigen Form der Beratung. Und die als liberal geltenden Bischöfe der Bistümer Trier (Spital), Limburg (Kamphaus) und Freiburg (Saier) überlegen nach Informationen der Rheinzeitung ernsthaft, den Beratungsstellen auch weiterhin die Ausstellung der Scheine zu erlauben.

Auch die Theologen machen Front gegen die römische Anordnung: Der Tübinger Professor Norbert Greinacher rief die Gläubigen zu „kirchlichem Ungehorsam“ auf. Sein Kollege Dietmar Mieth bezeichnete das erwartete Eingreifen Roms in die deutschen Bistümer als „ungewöhnlichen Extremfall“. Der Theologe Hans Küng, dem von Rom 1979 seine Lehrbefugnis entzogen worden war, forderte die Bischöfe, die sich seit 30 Jahren „durch Blindheit und Feigheit ausgezeichnet haben“, dazu auf, „für das Volk dazusein“ und sich der Anordnung zu widersetzen.

Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), die Organisation der katholischen Laien, bekräftigte die Unterstützung der kirchlichen Beratungsstellen, durch die „Tausenden von Kindern das Leben gerettet“ worden sei. „Wenn wir anders handeln würden, käme dies einer unterlassenen Hilfeleistung gleich“, sagte ZdK-Präsident Hans Meyer. Die innerkirchliche Opposition „Wir sind Kirche“ rief dazu auf, die Bischöfe mit einer „Brief-, Telefon- und Faxaktion“ aufzufordern, in der Beratungsarbeit zu bleiben. Die Caritas ging mit einer Erfolgsmeldung an die Öffentlichkeit: Von 20.000 Frauen, die 1996 in einem Konfliktfall beraten worden waren, hätten sich mehr als 4.000 „nachweislich für das Kind entschieden“.

Wolfgang Thierse, stellvertretender SPD-Vorsitzender und ZdK-Mitglied, schlug ebenso wie die bayerische Staatsministerin für Bundesangelegenheiten, Ursula Männle (CSU), vor, notfalls sollten katholische Laienorganisationen die Beratung übernehmen. Die Katholiken müßten laut Thierse Wege finden, die eine Beratung mit Scheinvergabe möglich machten, „auch gegen den Willen des Papstes“. Bernhard Pötter Tagesthema Seite 3