: Vorwärts, junge Garde!
■ Was bleibt von der DDR? Eine CD mit Pionierliedern zum Beispiel, die jetzt erschienen ist. Sie weckt Erinnerungen an Pionierblusen, politische Affirmation und blaue Fahnen
„Wer fleißig lernt / erreicht auch viel! / Der Sozialismus ist das Ziel!“ (Motto)
Von der DDR wird nicht viel bleiben, soviel steht schon mal fest. Die Behauptung ist nur in dem Maß metaphysisch, wie die Politik sich der Emotionen bedient – eine Angelegenheit des Überbaus, die mit dem Überbau selbst kryptisch wird. Es geht um das Phänomen der Nichterklärbarkeit, die im Verhältnis zur vergehenden Zeit wächst. Jüngstes Beispiel ist die Wiederveröffentlichung von DDR-Pionierliedern auf CD. Kinder haben „Wir tragen die blaue Fahne“, „Bald bin ich junger Pionier“ und „Hör ich die Soldaten singen“ gesungen und erinnern sich dreißig Jahre später ohne Peinlichkeit daran. Das kann man nicht erklären.
Pionierlieder gehörten zum DDR-Kinder- und Jugendalltag, zur politischen Organisation der Kinder, wie religiöse Musik – der Choral, die Kantate, zeitgeistiger Christen-Pop – zum Gemeindekirchenleben. Die Funktion der Pionierlieder, dieser Sozialismus-spezifischen „Wunschprojektionen deutscher Erziehungsgeschichte“, war natürlich ideologisch affirmativ. Walter Ulbricht hatte 1952 die Parole ausgegeben: „Junge Garde vorwärts im Kampf für Frieden, Einheit, Demokratie und Sozialismus!“ – wobei Einheit und Demokratie bald Interpretationssache wurden. Pionierlieder waren – wie Russisch und Heimatkunde – zu prüfender Bestandteil des Schulunterrichts und im Repertoire jedes Kinderchors. Manche, wie „Blaue Wimpel“, mochte man als Zehnjährige wegen der beschwingten Melodie und der an Schulferien, Sommerwind und Himmelsblau erinnernden Wimpel gern, freute sich aber doch mehr auf den Advent, wo bei den Chorproben die herzwärmenderen Weihnachtslieder geprobt wurden. Abstrakt mechanischer Fortschrittsglaube und Kindertümelei der Texte konnten im Verbund mit der immer subversiven Adoleszenz den Pionierliedern weder dauerhafte Popularität noch ein treues Publikum sichern. Wer mochte mit dreizehn noch singen, daß Thälmann DAS Vorbild ist, wo man doch für The Sweet schwärmte? Wenn es heute auf Festen genügt, eine halbe Zeile aus „Unsere Heimat“ auf den Tisch zu semmeln, um verschwörerischen Beifall zu ernten, tritt „Sklaven“-Wissen bockig gegen das historische Interpretationsmonopol der Altbundesdeutschen an. Habe ich vorhin geschrieben, daß von der DDR nicht viel bleiben wird? Quatsch. Bleiben werden Geheimbünde. Doch mit denen verhält es sich wie mit den leichten Siegen – sie befriedigen nicht auf Dauer. So sitzt man im kleinen Kreis zu Hause, hört noch einmal Pionierlieder und weiß eigentlich nicht, wozu. Oder doch? Womöglich hätte die Partei der Arbeiter und Bauern ihre „Nachhut“ (schon Viertklässler witzelten damals über die „Nachhaut“) tatsächlich auf ewig für sich gewinnen können. Auf die Texte, und seien sie auch noch so blöd, hört man heute schließlich auch nur mit einem Viertelohr. Wenn damals nur die Pionierblusen- und hemden nicht so schrecklich steif und dann auch noch weiß gewesen wären – bekanntlich hassen Kinder unbequeme Kleidung genauso wie die Vorstellung, sich nicht schmutzig machen zu dürfen. So ähnlich ist es mit Erwachsenen, bloß mehr im Kopf. Anke Westphal
„Blaue Wimpel im Sommerwind. Lieder der jungen Pioniere“, (Ed. Barbarossa/delikato) Nr. 01343-2
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