: „Weh tut das gar nicht“
■ Alte Patienten kommen nur schwer wieder in den Alltag / Neues Geriatrie-Zentrum im St. Joseph-Stift soll helfen
Es passiert ganz plötzlich: Eine Körperhälfte wird taub, man sackt zur Seite oder kippt einfach um. „Nein, weh tut das überhaupt nicht“, sagen Schlaganfallpatienten. Aber wer nicht innerhalb von sechs Stunden mit der Rehabilitation beginnt, muß damit rechnen, für den Rest des Lebens auf Hilfe angewiesen zu sein. Und bei Alten über 60 – das sind 80 bis 90 Prozent aller Fälle – reicht auch rasche Behandlung nicht. Die Behinderung dauert oft länger als der Krankenhausaufenthalt – und schwupps, landen die Patienten im Heim. Für monatlich 5.000 bis 6.000 Mark.
„Der Schlaganfall ist das klassische Beispiel für geriatrische Erkrankungen“, sagt Thomas Brabant. Er ist Chefarzt des neuen „Zentrums für Geriatrie und Frührehabilitation“im Krankenhaus St. Joseph-Stift, Spezialist auf dem Gebiet der Altenheilkunde, auf die Bremens Gesundheitspolitik in den vergangenen zwei Jahren verstärkt gesetzt hat.
Hintergrund für das Interesse an geriatrischen Methoden ist nicht nur die demographische Entwicklung. Auch die Kosten spielen eine Rolle. Kaum eine altersbedingte Krankheit läßt sich mit der üblichen Intensiv- und Apparatemedizin so behandeln, daß der Patient später allein klar kommt. Schon die individuellen Folgen sind verheerend, aber auch Pflegekassen und Kommunen, die mit Sozialhilfe einspringen, wenn sonst keiner die Kosten übernimmt, zahlen drauf. Die Altenheilkunde setzt auf ganzheitliche Diagnostik und Therapie, die neben der komplexen medizinischen Situation – jeder dritte über 75 leidet an mehr als sieben verschiedenen Erkrankungen – auch psychische und soziale Komponenten berücksichtigt.
„Die Geriatrie ist eine der wenigen gesundheitspolitischen Bereiche mit Perspektive“, erklärt Sozialsenatorin Christine Wischer (SPD). Die im Landeskrankenhausplan geforderten eigenen geriatrischen Abteilungen mit insgesamt 90 Betten für die Bereiche Nord, Ost und Mitte seien inzwischen verwirklicht – obwohl sich die finanzschwachen Bremer Krankenkassen mit der Befürchtung dagegen gewehrt hatten, sie würden dadurch „noch weiter belastet“. Je 20 Betten haben die Zentralkrankenhäuser Bremen-Nord und -Ost seit 1995 in die Geriatrie umgewidmet, 50 bietet nun das St. Joseph-Stift, ab Mai sollen weitere 20 als Tagesklinik-Plätze folgen.
Dem Altenplan des Sozialressorts werden die 90 Betten allerdings nicht gerecht – dessen Autoren leiten aus Gutachten unterschiedlicher Auftraggeber eine durchschnittliche Zahl von 450 notwendigen Betten ab. Mehr Betten insgesamt gibt es durch die Geriatrie nicht, die Patienten werden aus der Inneren, der Chirurgie und der Gynäkologie hierher verlegt.
Trotzdem, darauf verweist Jürgen Scholz, Verwaltungsdirektor des St. Joseph-Stift, sind für das Zentrum 50 neue Mitarbeiter eingestellt worden – vom Chefarzt über Ergotherapeuten und Logopäden bis zum Pflegepersonal: „Geriatrie ist personalintensiv.“
„Die Patienten müssen lernen, den Alltag wieder zu bewältigen“, sagt Ergotherapeutin Marion Stark. Dafür gibt es neben Gymnastik- und Werkstatträumen auch eine Küche, in der sie üben, die durch den Schlaganfall zeitweise gelähmte linke Hand wieder einzusetzen, Brote zu schmieren und die Kaffeetasse zu heben. Eine rutschfeste Unterlage unterm Brettchen, Stifte, auf denen das Brötchen aufgespießt werden kann, Griffverdickungen für das Besteck – oft sind es Kleinigkeiten, die die Beweglichkeit der Patienten enorm verbessern. Demenzkranke und Gedächtnisschwache erstellen Einkaufslisten und versuchen, in kleinen Gruppen selber zu kochen.
„Wenn die nicht mehr wissen, wie es geht, oder immer wieder vergessen, die Herdplatte abzustellen, ist das mit viel Frust verbunden“, so Stark. Das Zentrum ist auf Frührehabilitanden spezialisiert: „Die können kaum noch was.“Da es mangels Geld keine Wochenendschichten gibt, müßten Ergotherapeutinnen wie Logopäden montags „quasi von vorn“anfangen.
Auch die von den Krankenkassen vorgegebene Verweildauer von sechs Wochen, die auf höchstens zwei Monate verlängert werden kann, reicht oft nicht. „Die Möglichkeiten, die die Geriatrie bieten würde, werden bei weitem nicht ausgenutzt“, glaubt Stark.
Trotzdem wünscht sich beispielsweise die gesundheitspolitische Expertin der grünen Bürgerschaftsfraktion, Christine Bernbacher, daß die Bremer Gesundheitspolitik die „erfreuliche Orientierung auf Prävention und Lebensumstände auch in anderen Bereichen anwendet. „Wenn die Kindermedizin nur annähernd diesen Ansatz verfolgte, müßte das Kinderkrankenhaus Links der Weser nicht um seine Existenz fürchten.“ Beate Willms
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