: Was NS-Unrecht war, darf weiter Recht bleiben
■ Justizminister Schmidt-Jortzig zieht seinen Gesetzentwurf resigniert zurück: Rechter Flügel der Union verhindert Aufhebung aller NS-Unrechtsurteile
Bonn (taz/AFP/epd) – Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jortzig macht einen blamablen Rückzieher: Der von ihm geplante Gesetzentwurf zur Aufhebung von NS-Unrechtsurteilen wird in dieser Legislaturperiode nicht mehr vorgelegt. Damit setzt sich innerhalb der Koalition die Linie der CSU durch, die gegen ein solches Gesetz opponiert und deren Abgeordneter Norbert Geis noch vorgestern erklärt hatte, ein solches Gesetz halte er auf Bundesebene für überflüssig.
Schmidt-Jortzig hatte die Initiative für das Gesetz am 2. März 1997 vorgestellt und angekündigt, er werde es „in Kürze“ dem Parlament vorlegen. Alle NS-typischen Strafrechtsurteile der Jahre 1933 bis 1945 sollten pauschal annulliert werden. Ein erster Entwurf des Gesetzes sah vor, daß auf Antrag des Verurteilten (oder nach dessen Tod auf Antrag der Verwandten) die Staatsanwaltschaft eine ausdrückliche Bescheinigung über die Aufhebung des Urteils ausstellen sollte.
Aus der „Kürze“ wurde lange Weile. Als zum 20. Juli spekuliert wurde, der Zeitpunkt zur Gesetzesvorlage sei gekommen, ließ das Justizministerium schlicht verlauten: „Wir arbeiten am Thema, sind aber noch längst nicht soweit, einen Entwurf vorlegen zu können.“ Immerhin wurde den Bundestagsfraktionen im Sommer dann doch ein Referentenentwurf zugeleitet. Darin war angestrebt, Urteile von NS-Sondergerichten aufzuheben, die nach dem 30. Januar 1933 zur „Durchsetzung oder Aufrechterhaltung des nationalsozialistischen Regimes aus politischen, rassischen oder weltanschaulichen Gründen ergangen sind“.
Dabei blieb es. Minister Schmidt-Jortzig wurden vom zähen Widerstand des rechten Flügels der Union in die politische Niederlage getrieben. Entsprechende Gesetze sollten von denjenigen Bundesländern geschaffen werden, wo Regelungen noch fehlten, meint CSU-Mann Norbert Geis; das genüge vollständig. Schmidt- Jortzig hielt dagegen: „Wenn man das sauber und unmißverständlich regeln will, muß man das auf Bundesebene machen.“ Eine solche Regelung sei derzeit nicht möglich, mußte er am Donnerstag abend ohnmächtig eingestehen.
SPD und Grüne reagierten auf Schmidt-Jortzigs Erklärung mit der Ankündigung, eigene Gesetzentwürfe vorzulegen. Im Vertrauen auf die frühere fraktionsübergreifende Einigkeit und eine entsprechende Zusage Schmidt-Jortzigs habe die SPD ihren Entwurf eineinhalb Jahre lang zurückgestellt, sagte die rechtspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Herta Däubler-Gmelin. Jetzt wolle die SPD „in der nächsten Sitzungswoche“ einen Entwurf einbringen.
Für die Grünen kündigte ihr rechtspolitischer Sprecher Volker Beck einen Vorschlag für ein „NS-Unrechtsaufhebungsgesetz“ bis März an. „Wer politisch nicht die Kraft hat, das Unrecht der Nazizeit juristisch außer Kraft zu setzen, kann kein glaubwürdiges Fundament für Denkmale und Gedenktage legen.“ pat
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen