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Mit Volldampf in die Vergangenheit

Handel und Kammer im Autowahn? Der Kampf der Hamburger Wirtschaft gegen die Verkehrsberuhigung beruht auf falscher Wahrnehmung der Kundeninteressen  ■ Von Florian Marten

Nikolaus Schües, Präses der Hamburger Handelskammer, ist ein freundlicher und umgänglicher Mann, freundliche Kooperation ist sein Markenzeichen. Manchen aus der Hamburger Wirtschaft ist der Vorzeige-Lobbyist sogar zu brav und nett – doch bei einem Thema versteht er überhaupt keinen Spaß.

„Die Förderung bisheriger Freizeitaktivitäten wie des Zufußgehens und des Fahrradfahrens zum erklärten Schwerpunkt der Verkehrspolitik zu machen“, so tönte er zornig bei seiner Silvesteransprache, „kann von Außenstehenden nur als satirischer Beitrag verstanden werden mit dem Titel: Mit Volldampf voraus in die Vergangenheit“.

Gemeinsam mit dem Hamburger Einzelhandel betreibt die Kammer seit Abschluß des rot-grünen Koalitionsvertrags im November vorigen Jahres eine vorbeugende Politik. Der in diesem Vertrag vorsichtig angedeutete Wandel von einer der autofreundlichsten deutschen Städte hin zu einer Verkehrspolitik, die sich am Menschen ausrichtet, soll um beinahe jeden Preis verhindert werden.

Die Argumentationsformel von Kammer und Handel lautet: Autoverkehr = Einkaufsverkehr. Beruhigter Autoverkehr, so schlußfolgern die Kaufleute unisono, sei deshalb Umsatzrückgang, Aufgabe der Metropolfunktion, wirtschaftlicher Untergang. Diese Annahmen aber, so betont eine aktuelle Studie, beruhen auf verzerrten Wahrnehmungen der Wirklichkeit und sind allenfalls psychologisch erklärbar: „Ein wesentlicher Teil der Vorbehalte gegenüber verkehrsberuhigenden Maßnahmen ist auf eine gewisse Problemübertragung zurückzuführen.“Die Krise des Einzelhandels führe zur psychologisch verständlichen Suche nach Schuldigen, die dann gerne, aber eben fälschlich, in der städtischen Verkehrspolitik gesehen werden.

Im Auftrag des Bundesbauministeriums haben die nordrhein-westfälischen Wissenschaftler Ulrich Hatzfeld und Rolf Junker an sechs sehr unterschiedlichen Verkehrsberuhigungsmaßnahmen der jüngsten Vergangenheit auf Hauptverkehrsstraßen in Köln, Essen, Bielefeld, Rosenheim, Arnsberg und Burgwedel untersucht, wie und ob die Vorurteile des Handels gegenüber Verkehrsberuhigung berechtigt sind.

Das Ergebnis der Forscher ist eindeutig und stützt jene Erkenntnisse, die sich bereits bei der Mehrzahl aller bisherigen Untersuchungen ergeben haben: „Die Einrichtung von Fußgängerzonen wirkt sich positiv auf die Umsatzentwicklung des Handels in den Stadtzentren aus.“Und: „Die Unternehmen haben insgesamt ein falsches Bild von der Kundenmeinung über die Erreichbarkeit ihrer Betriebsstandorte.“Auch über die tatsächlichen Wünsche der Kunden grassieren irrige Vorstellungen: „Die Forderung des Handels nach mehr Parkplätzen findet keine Entsprechung bei den Kundenwünschen.“

Entscheidend für den Umsatzerfolg, so zeigt die Untersuchung, sei nicht die PKW-Erreichbarkeit: Die Forderungen nach „einem besseren Einzelhandelsangebot“und einer „fußgängerfreundlicheren Gestaltung“, beides Ziele, die von Nicht-Kunden sogar noch höher eingestuft werden als von Stammkunden der untersuchten Gebiete, führen mit weitem Abstand die Hitliste der Kundenwünsche an. Die Autoren schlußfolgern: „Letztendlich entstehen Kundenströme nicht aufgrund einer günstigen PKW-Erreichbarkeit, sondern wegen lohnender Ziele.“Ein „attraktives Angebot, verknüpft mit einer fußgängerfreundlichen Gestaltung“sei deshalb die erfolgversprechendste Strategie, um einer innerstädtischen Einkaufsstraße zu mehr Umsatz zu verhelfen.

Hatzfeld und Junker empfehlen der modernen Verkehrspolitik deshalb ein behutsames, ja therapeutisches Vorgehen. Hamburg, dessen rot-grüne Koalition auf Verkehrsberuhigung, und die Stärkung von Quartieren und Stadtteilzentren setzen will, sollte demnach danach streben, „Vorurteile bei den betroffenen Einzelhändlern zu verringern“. Dazu bedürfe es einer „wesentlich besseren Vorbereitung und Vermittlung verkehrlicher Maßnahmen, als dies bisher üblich war“.

Bei Nikolaus Schües wird da noch ein ganz hartes Stück therapeutischer Arbeit zu leisten sein: „Wirtschaftsverkehr ist vor allem Einkaufsverkehr“, glaubt er felsenfest. Und nur ein Autokunde ist ein guter Einzelhandelskunde: „Mit romantisierender Fahrradpolitik werden wir im 21. Jahrhundert – wenn überhaupt – mit solcher Verspätung ankommen, daß uns die anderen schon so weit voraus sind, daß sie uns noch nicht einmal mehr werden zuwinken können.“

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