: OP-Technik aus dem Museum
■ Polens Narkoseärzte streiken. Sie protestieren gegen schlechte Ausstattung und miesen Lohn
Warschau (taz) – Die Arbeitsbedingungen für Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger in Polen spotten jeder Beschreibung: veraltete Apparaturen, fehlende Meßgeräte bei Operationen und eine viel zu niedrige Bezahlung. Jetzt sind die Narkoseärzte in einen landesweiten Warnstreik getreten.
„Wenn sich nicht bald etwas ändert, quittieren wir unseren Dienst. Dann gründen wir private Firmen, und die Krankenhäuser müssen die Preise für die einzelnen Dienstleistungen jeweils neu mit uns aushandeln“, erklärt die Anästhesistin Teresa Korta. Sie arbeitet im Klinikzentrum der Medizinischen Akademie in Warschau. „Es kann nicht angehen, daß die Politiker immer nur Versprechungen machen. Wir streiken nun schon seit Oktober. Und was ist das Resultat? Versprechen, von denen der Minister keins gehalten hat.“
Zwar hat der Streik in einigen Städten zu Erfolgen geführt, die Gehälter wurden angehoben, die Ausstattung der Operationssäle verbessert. Doch in Warschau hat sich nichts getan. „Alle Problemfälle des Landes werden hierher geschickt. Diese schwerkranken Menschen setzen ihre ganze Hoffnung auf uns. Und wir tragen die Verantwortung für ihr Leben. Doch wir können dies nicht länger tun, wenn die Beatmungsgeräte 40 Jahre alt sind und wir nach dem Dienst einer anderen Arbeit nachgehen müssen, weil wir zuwenig verdienen“, sagt Teresa Korta.
Die 48jährige Dozentin arbeitet seit 24 Jahren in der Zentralklinik der Medizinischen Akademie in Warschau, einem der renommiertesten Krankenhäuser in Polen. Sie zieht einen Gehaltszettel aus der Kitteltasche: „Im Oktober letzten Jahres, noch vor unserem Hungerstreik, habe ich eine Gehaltserhöhung bekommen. Der Stundenlohn beträgt nun statt 4 Zloty 50 ganze 6 Zloty und 50 Groschen (rund 3,25 DM). Wenn ich 16 Stunden arbeite, bleiben mir nach Abzug der Steuern 85 Zloty (rund 42,50 DM).“ Die Anästhesisten fordern eine Anhebung des Mindestgehalts für einen Facharzt von 50 Prozent. Nach sechsjährigem Studium, einem praktischen Jahr, fünf Jahren als Arzt und zwei Facharztprüfungen würden sie dann 2.050 Zloty verdienen (rund 1.025 DM). Das wäre immer noch weniger als ein Stahlkocherlohn.
Die Anästhesisten stellen unter den Ärzten eine kleine Gruppe. In ganz Polen gibt es 3.500 Narkoseärzte, rund 300 von ihnen arbeiten in den 40 Warschauer Krankenhäusern. Im Gegensatz zu anderen Fachärzten können sie weder eine eigene Praxis eröffnen noch Privatpatienten behandeln. Auch von dem in Polen üblichen Brauch, dem Arzt ein Bakschisch zukommen zu lassen, haben Narkoseärzte nichts. Sie sind nur auf ihr Gehalt angewiesen. „Noch viel schlechter werden die Schwestern und Pfleger bezahlt“, bekennt Doktor Korta. „Würden sie streiken, hätten sie unsere volle Unterstützung. Doch sie haben resigniert. Immer mehr ergreifen einen anderen Beruf. 530 Zloty im Monat – da verdient jede Verkäuferin mehr.“
Viele Patienten spüren von dem Streik nur wenig. Auf der chirurgischen Abteilung, in Zimmer 57, warten drei Frauen auf einen Anästhesisten. „Ich mußte überhaupt nicht warten“, erklärt Jadwiga K. „Ich gelte als Notfall. Auch im November, als die Ärzte im Hungerstreik waren, haben sie mich sofort behandelt.“ Barbara H. hat unter dem Streik gelitten. „Ich habe seit Oktober auf einen Operationstermin warten müssen. Jetzt habe ich eine Kolik bekommen. Da war ich dann auch ein Notfall.“
Trotz „Warnstreik“ sind alle 27 Anästhesisten im Dienst, bereiten die Patienten für die Operation vor und machen Nachsorgebesuche. Außerdem werden bestimmte Eingriffe durchgeführt: Notfälle, Krebsoperationen, Geburten und Operationen an Kindern. Im Klinikzentrum in Warschau sind es zwölf Operationen täglich, ein Drittel der normalen Zahl. Gesundheitsminister Wojciech Maksymowicz wird es schwerhaben, sich gegen die Vorwürfe zu wehren. In den nächsten Tagen soll er erklären, weshalb er die Vereinbarung vom 22. November mit den Ärzten gebrochen hat. Maksymowicz ist sich keiner Schuld bewußt. Er könne die Situation der Anästhesisten nicht verbessern, weil die anderen Berufsverbände mit einer Ausnahmeregelung nur für Narkoseärzte nicht einverstanden seien. Gabriele Lesser
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