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Wochenlang gingen vor Weihnachten Tausende StudentInnen auf die Straße, um gegen Bildungsabbau zu demonstrieren. Die Politik reagierte mit Verständnis, aber ohne Willen zur Veränderung. Doch die StudentInnen bohren weiter - in Seminaren, an

Wochenlang gingen vor Weihnachten Tausende StudentInnen auf die Straße, um gegen Bildungsabbau zu demonstrieren. Die Politik reagierte mit Verständnis, aber ohne Willen zur Veränderung. Doch die StudentInnen bohren weiter – in Seminaren, an Runden Tischen, in Protestplena.

Mit Nadelstichen weiterkämpfen

Bei zwei großen Studentendemonstrationen Ende des letzten Jahres klopften jeweils 40.000 Studierende aus der ganzen Republik bei Jürgen Rüttgers an die Tür. Gestern empfing der Bonner Zukunftsminister wieder eine studentische Delegation. Anne Lee Hahn aus Regensburg und der Würzburger Marco Schneider überbrachten dem für Bildung zuständigen Bundesminister 2.788 Postkarten gegen die herrschende Bildungspolitik: Schluß mit der Debatte um Studiengebühren; her mit einem ordentlichen Bafög und ausreichend Finanzen für die maroden Hochschulen; Demokratie statt Professorenmehrheit fordern die Unterzeichner außerdem.

Die Protestkärtchen aus Bayern markieren das Ende des bundesweiten Studentenprotestes. Seit vergangenen Oktober hatten rund eine halbe Million Studierende sechs Wochen lang Hochschulen, Straßen und Medien beherrscht. Warum ausgerechnet 1997 mit nicht gekannter Wucht StudentInnen protestierten, kann niemand recht erklären.

Denn die Zustände sind seit Jahren bekannt: Sechs bis neun Milliarden Mark fehlen dem deutschen Hochschulwesen Jahr für Jahr. 1,9 Millionen Studis drängen sich auf nicht mal einer Million Plätzen an den Universitäten. Die Unis sind derweil fest in der Hand eines professoralen Machtkartells und bürokratisch organisierter Hochschulverwaltungen. Nicht wenige Bibliotheken schließen um 17 Uhr. Neuerungen sind dringend notwendig, lassen sich aber irgendwie nicht durchsetzen. Und die Wissenschaftsminister der Länder spielen föderalen Ringelpiez ohne Anfassen: Kraft ihrer Kulturhoheit haben sie das Sagen an den Hochschulen; aber einigen können sie sich so gut wie nie. Zuletzt haben sie so das darniederliegende Bafög verbaselt. Weil sich CDU- und SPD-regierte Länder nicht einigen konnten, kam Bildungsminister Rüttgers mit einer Minireform der Ausbildungsförderung durch, die nichts ändert: Ganze 15 Prozent erhalten jetzt noch Bafög.

Doch der studentische Protest brach unterm Christbaum zusammen. „Man muß ganz realistisch sehen“, erklärt Rüttgers-Besucherin Anne Lee Hahn, „in diesem Semester geht nichts mehr.“ Die 24jährige entmutigt das kein bißchen. „Wir konzentrieren uns nicht mehr auf die Presse“, sagt sie – und sprudelt den bayernweiten Kalender eines Protests hervor, der der medialen Aufmerksamkeit knapp entgeht: Jeden Mittwoch wird es jetzt einen Aktionstag geben, zusammen mit SchülerInnen. In ihrer Uni hat der Streik den Studis erstmals einen Sitz in der Strukturkommission beschert. Und per Volksbegehren wollen sie das Bayerische Hochschulgesetz ändern. „Nur steter Tropfen höhlt den Stein“, sagt Hahn.

So wie in Bayern geht es in der ganzen Republik zu. Viele Studentenprotestler sind in die Seminare zurückgekehrt. Aber aufgehört hat das Aufbegehren gegen miserable Studienbedingungen nirgendwo: An der Fachhochschule Münster machten die Designstudis eine Woche Tag und Nacht durch (siehe unten). In Berlin steht seit vergangener Woche ein Runder Tisch. In Frankfurt haben sich „Protestplena“ etabliert, die an anderen Hochschulen Autonome Seminare heißen. Die Gießener Studis, die Ende Oktober den bundesweiten Protest losgetreten hatten, schicken heute eine studentische Abordnung nach Bonn, um mit der SPD über die Novelle des Hochschulrahmengesetzes (HRG) zu verhandeln. „Wenn der Protest dazu geführt hat, daß die SPD für das Verbot von Studiengebühren im HRG ist, dann hat es sich gelohnt“, rechtfertigt die Gießener Asta-Referentin Julia Schotte die neue Strategie der Nadelstiche.

Den großen Wurf wird es nicht geben, ist Jochen Geppert überzeugt. Der Psychologiestudent ist seit 1993 Streikaktivist und Vertreter in verschiedenen Uni-Gremien. Das große Thema des 97er Streiks lautete für ihn: Die Gestaltbarkeit unserer Gesellschaft. Selbst wenn alle übereinstimmen, „daß sich was ändern muß“, meint Geppert, „geht alles in seinen festgefahrenen Bahnen weiter“ (Interview).

Auch die geplante „Übernahme“ der FDP hilft da wohl nichts. Schon die 68er versuchten, die Mini-Partei zu kippen. Der Unterschied zu heute: Die 68er hatten eine klare Strategie, bloß zuwenig Leute. Die 98er gehen mit über 800 Studis zu den Berliner Liberalen, aber Programm haben sie keines. Christian Füller, Berlin

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