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Von der Menschlichkeit der Unmenschen

■ Yad-Vashem-Direktor Bauer erzählt bei Gedenkrede im Bundestag auch vom guten Menschen

Bonn (taz) – Der Beifall für Yehuda Bauer, Direktor des internationalen Forschungsinstitutes für Holocaust-Studien am Yad Vashem in Jerusalem, zeugte von Nachdenklichkeit. Der jüdische Historiker hielt gestern im Bundestag die Gedenkrede zum 53. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz.

Yehuda Bauer redete nicht über den Holocaust, er erzählte von ihm. Von den Toten, dem Leid. Nicht das Ereignis suchte er zu ergründen. Er erzählte Geschichten, die sich zwischen den Zeilen der Geschichtsbücher zugetragen haben. Geschichten wie die von der jüdischen Frau, der ein SS-Mann das Leben schenken wollte – wenn sie erriete, welches seiner Augen das Glasauge sei. Die Frau tippte auf das rechte. Der SS-Mann wunderte sich, wie sie das erraten habe. Sie sagte: „Es sieht menschlicher aus.“

Aus der Geschichte lernten die Menschen selten, sagte Yehuda Bauer. Sie tun es deshalb nicht, weil immer noch Napoleons Gewinn der Schlacht von Austerlitz gelehrt werde. Die toten Soldaten aber, die vergewaltigten Frauen, die Menschen, deren Dörfer gebrandschatzt wurden, die ihr Hab und Hut verloren haben, was ist mit ihnen, fragte er. „Wir vermeiden es, so gut wir es können, die dunkle Seite der Menschheitsgeschichte wahrzunehmen.“

Nicht die Brutalität, der Sadismus seien das Neue an diesem Genozid, sagte Bauer. Auch nicht die hohe Zahl der Opfer. Vielmehr seien erstmals Menschen getötet worden, deren einziges Verbrechen es gewesen sei, geboren zu sein. „Die Geburt war die Todsünde, die mit dem Tod geahndet wurde.“ Der Judenmord habe sich nicht gegen deutsche, polnische oder europäische Juden gerichtet, „sondern gegen alle 17 Millionen, die verstreut auf der Welt von 1939 gelebt haben“. Alle anderen Völkermorde hätten sich in bestimmten territorialen Grenzen zugetragen. Gebaut sei die völkermordende Ideologie des Holocaust auf reiner Phantasie. Juden seien einer Weltkonspiration beschuldigt worden. Mittelalterlicher Judenhaß sei der Ursprung dieser Idee. Doch in Wirklichkeit waren die Juden „nicht imstande, auch nur einen teilweisen Zusammenschhluß zu erreichen“.

Yehuda Bauer sagte, „das Fürchterliche am Holocaust war nicht, daß die Nazis Unmenschen waren, sondern daß sie menschlich waren wie Sie und ich“. Die Menschen folgten in ihrer Not der „wunderschönen Utopie“ der Nazis. Dafür trügen auch die Intellektuellen des Landes Verantwortung. Weil sich „die Lehrer, die Studenten, die Bürokraten, die Ärzte, Anwälte und Ingenieure den Nazis anschlossen, war es leicht, die Masse von der angeblichen Notwendigkeit des Völkermordes zu überzeugen und aus ihr die Täter zu rekrutieren“.

Der Holocaust zeige aber nicht nur das Verbrechen, sagte Yehuda Bauer, er offenbare auch das Gute im Menschen. Von Schindler erzählte er deshalb, einem Alkoholiker und Schürzenjäger, der 1.000 Juden das Leben gerettet hat. Und von Anna, einer polnischen Frau, die das jüdische Kind Maczek liebte, als wäre es ihr eigenes, und es vor den SS-Schergen rettete. Anna starb bald nachdem Maczek nach Israel gebracht worden war. „Maczek weiß bis heute nicht, wer er ist, aber er weiß, daß eine Polin ihn gerettet hat.“

Diese Geschichten waren es, die die Gedenkfeier im Bundestag eindrücklich und den Beifall der Abgeordneten so nachdenklich machten. Und solche Geschichten sind es, die diesen Gedenktag, der erst 1996 eingeführt wurde, so wichtig machen. Thorsten Denkler

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