piwik no script img

■ VorschlagAus Liebe zum nackten Ohr: Linda Simmel in der Galerie Zunge

Neben dem Eingang hängen drei Fotos in Postkartengröße, alle drei mit demselben Motiv: einem angeschnittenen weiblichen Akt, der nur die linke Körperseite bis zur Taille zeigt. Der Kopf ist ins Profil gewendet, das offengelegte Ohr durch einen rotgemalten Kreis betont. Das überarbeitete Foto gehört in eine Reihe von Postkarten, die die amerikanische Malerin Linda Simmel regelmäßig an eine Berliner Künstlerin schickt – wenn sie nicht gerade in Berlin, sondern in San Francisco ist, wo sie eigentlich lebt. Zur Zeit zeigt sie eine Reihe von Bildern in der Galerie Zunge in Prenzlauer Berg – ein Ort, der auch für Lesungen, Konzerte und Gespräche genutzt wird.

Der ganz ungewöhnliche, im Zickzack nach hinten verlaufende Raum mit den gewinkelten Wänden paßt gut zu den vielfältigen Formaten der Bilder von Linda Simmel, die vom extremen Querformat übers Quadrat und Rechteck alles einschließen und ihren Reiz im Spannungsfeld von geometrischer Abstraktion und Figürlichkeit entwickeln: Gesichter zum Beispiel, die aus spiralenartig angelegten Reihen von Kreisen herauswachsen. Oder, noch häufiger, seriell nebeneinandergesetzte Ohren in ganz unterschiedlichem, wenn auch abstraktem Kontext. In fast allen Bildern erkennt man die Ohren schnell als das eigentlich Wichtige. Je nachdem, wie sie die Künstlerin behandelt hat und in welchem Zusammenhang sie stehen, erinnern sie an Embryonen, an weibliche Geschlechtsteile oder den Abdruck von Fingerspitzen. Ohren, mal in dunklen Rechtecken auf einem sonst weißen, mit Resten von Druckbuchstaben gemalten Bild oder auf mehrfach geschichtetem, gefettetem Pergament zwischen hauchdünnen bedruckten Darmschichten. Wie auch immer: Sowohl die sensibel gemalten Köpfe als auch die Ohren scheinen eine Ebene unterhalb der dazugehörigen Bilder zu liegen, so, als ob da Fenster offenstünden oder das Ohr in einem Schrein läge.

Linda Simmel behandelt das Hörorgan, mit dem wir ganz wesentlich die Welt begreifen und das eines unserer Körperöffnungen darstellt, mit religiöser Ehrfurcht, als ob es sich um eine Reliquie oder gar um ein Wesen handeln würde. Die Farbzusammensetzung der Bilder, die formalen Lösungen, Gegenständliches und Ungegenständliches nebeneinanderzusetzen, macht die Ohren zu Kostbarkeiten. In der Arbeit „Ear Collage 2“ von 1997, die aus mehreren, ineinander verwinkelten Blättern besteht, „liegt“ das Ohr in einem schwarzen gerahmten Rechteck, das von einem weißen Feld umgeben wird. Drum herum ist alles rot. Cornelia Gerner

Bis 27.2., Di. bis Fr. 14–20 Uhr, Galerie Zunge, Wichertstraße 71, U-Bahnhof Schönhauser Allee

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen