piwik no script img

Mord ist schädlich fürs Geschäft

Ein Jahr danach ist der Mord an dem argentinischen Fotografen José Luis Cabezas noch immer nicht aufgeklärt. Die Reichen des Landes meiden den Luxusbadeort, an dem der Journalist ermordet wurde. Eine Spurensuche  ■ Aus Pinamar Ingo Malcher

Mit Kalk ist ein großes weißes Kreuz in die Grube gemalt. Am Rand stecken viele kleine und große Holzkreuze in der Erde, am Zaun einer angrenzenden Viehweide weht die schon leicht ausgefranste und von der Sonne vergilbte Fahne der Journalistengewerkschaft von Buenos Aires: „Vergeßt Cabezas nicht!“ Ein Jahr ist es her, daß der Fotograf José Luis Cabezas genau an dieser Stelle ermordet wurde.

Er war nachts von einer Party gekommen, als er vor seinem Haus gekidnappt, in den engen Kofferraum seines Ford-Fiesta-Mietwagens verfrachtet und gut 20 Kilometer aus der Stadt herausgefahren wurde. Neben einem Feldweg zwischen Schilfgras und Kuhweiden parkten seine Entführer den Ford in einer Grube, zerrten Cabezas aus dem Wagen und verprügelten ihn. Mit auf dem Rücken gefesselten Händen mußte er vor seinen Peinigern niederknien, dann zog einer einen Revolver aus der Tasche, setzte ihn Cabezas an die Stirn und drückte ab.

Die Mörder packten die Leiche wieder ins Auto und legten Feuer. So jedenfalls schilderte einer der Mörder nach seiner Festnahme der Polizei, was in der Nacht vom 25. Januar vergangenen Jahres in dem Badeort Pinamar, gut 400 Kilometer südlich der Hauptstadt Buenos Aires, geschehen war. Seither steht der Name Cabezas in Argentinien als Synonym für impunidad – Straflosigkeit von Verbrechen.

„Für mich ist er kein Symbol“, sagt Maria Cristina Robledo, Cabezas' Witwe. Nervös faltet sie eine Busfahrkarte zwischen ihren Fingern und sieht auf den hellen Holztisch in ihrem Apartment im Zentrum von Pinamar, „für mich ist er der Vater meiner Tochter.“ Die 17 Monate alte Candela ist für ihr Alter erstaunlich groß, sie sitzt auf dem Boden und spielt mit einem rosa Bären, der sprechen kann, wenn man ihn fest drückt. „Seit dem Mord an José Luis hat sich für mich alles verändert. Ich hatte eine Familie, heute bin ich allein. Früher war ich Mama, heute bin ich Mama und Papa zugleich“, sagt Maria Cristina Robledo mit leiser Stimme. Ihre blonden langen Haare hat sie hinter dem Kopf zusammengesteckt, damit sie nicht ins Gesicht fallen. Direkt nach dem Mord an ihrem Mann fiel es ihr schwer, den Fernseher anzumachen und die Nachrichten über den Mord zu sehen. Für sie ist „José Luis ein Opfer im Kampf der Mächte. Ich habe keine Ahnung, warum sie ihn umgebracht haben“, schüttelt sie den Kopf.

Pinamar ist der Nobelbadeort Argentiniens. Wirtschaftsbosse, peronistische Gewerkschaftsbonzen und Politiker der peronistischen Regierungspartei von Präsident Carlos Menem lassen es sich hier im Sommermonat Januar gutgehen. Ihnen reist eine ganze Armada von Klatschreportern und Fotografen hinterher – einer von ihnen war José Luis Cabezas. In Pinamar fotografierte er während der Badesaison Modeschauen, Models, die Schönen und Reichen.

Im Jahr 1 nach dem Mord bleibt die Prominenz Pinamar fern. Viele der luxuriösen Villen sind leer, der rosarote Oleander steht im Garten in voller Blüte, aber die Rolläden sind heruntergezogen, die Türen verrammelt.

Zwischen hohen Kiefern an einem kleinen ungeteerten Weg steht das Haus von einem der reichsten und mächtigsten Männer des Landes: Alfredo Yabrán. Sein Anwesen in Pinamar ist eine verunglückte Mischung aus verschnörkeltem Schwarzwaldhaus und Moderne. Irgend jemand hat die braunen geschwungenen Fensterläden geöffnet und rote Blumen in die Kästen vor dem Fenster gepflanzt. Aber die Tore der riesigen Garage bleiben verschlossen. Auch Yabrán sonnt sich dieses Jahr lieber woanders, denn er gilt vielen als einer der Hauptverdächtigen im Fall Cabezas. Erst vor kurzem hat er sein Imperium aus Transportfirmen, privaten Postdiensten und Sicherheitsfirmen verkauft. Der Chef einer seiner Sicherheitsfirmen sitzt wegen des Mordes an Cabezas in Untersuchungshaft, zusammen mit dem Ex-Vizepolizeichef von Pinamar.

Cabezas, Fotograf der Zeitschrift Noticias, hatte eines der ganz wenigen Fotos von Yabrán aufgenommen, die es bis dahin gab. Es zeigte den Unternehmer mit nacktem Oberkörper zusammen mit seiner Frau beim Spaziergang am Strand von Pinamar. Daraufhin beschwerte sich Yabrán bei Noticias: „Von mir ein Bild zu veröffentlichen ist genauso, als ob man mir eine Kugel in den Kopf jagt.“

Der Mann ist ein guter Freund von Präsident Carlos Menem. Ihm gehört das teuerste Hotel in Pinamar, eine Investition, die niemals das Geld einspielen kann, was sie gekostet hat. Dafür war Menem persönlich bei der Einweihung. Und neben dem Golfplatz von Pinamar baut Yabrán gerade für 35 Millionen Dollar an seinem nächsten Projekt, einer Art argentinischem Las Vegas, einem bombastischen Hotel mit Casino. „Yabrán will ganz Pinamar aufkaufen“, fürchtet Ricardo Cap, Vorsitzender des Gemeinderates.

Tatsächlich hat Yabrán Größeres vor. Einen Yachthafen will er und einen internationalen Flughafen. Allerdings legt sich der Provinzgouverneur, Eduardo Duhalde, gegen diese Pläne quer. Daher meint der Buchautor Noberto Colominas, daß Yabrán dem Gouverneur möglicherweise einen Denkzettel verpassen wollte – „und so hat er ihm dann die Leiche von Cabezas vor die Tür gelegt“. Denn auf dem Feldweg, wo Cabezas ermordet wurde, fuhr Duhalde jeden Morgen von seiner Ferienvilla zum Angeln. Warum es gerade Cabezas getroffen hat, kann auch Colominas nicht erklären.

Aber genauso ist denkbar, daß Cabezas Opfer der mafiosen Zustände bei der Polizei der Provinz von Buenos Aires wurde, zu der Pinamar gehört. Als Noticias eine Geschichte darüber mit „Verfluchte Polizei“ betitelte, schoß Cabezas dazu die Fotos, und hohe Polizeibeamte sahen darauf tatsächlich aus wie Mafiosi. Sicher ist, daß Cabezas' Mörder über gute Beziehungen zur Polizei verfügten – so war gesichert, daß in der Tatnacht niemand vorbeikam.

Die ersten Zeugen, die die Justiz auf die Spur von Yabrán brachten, haben mit ihrer Aussage schlechte Erfahrungen gemacht. Teresa Maria Guerrero und Daniel Cilbert haben ein Restaurant in der Nähe von Pinamar, in dem Cabezas öfter vorbeischaute. Ihnen vertraute er wenige Tage vor seiner Ermordung an, daß er fürchte, Yabrán könne ihn umbringen. Bevor die Eheleute ihre Aussage machten, dachten sie, „daß bereits mehrere vor uns das gleiche gesagt hätten und wir nichts Neues mehr berichten würden. Beim Verlassen des Gerichtsgebäudes dachten wir, jetzt haben wir es hinter uns – dabei fing alles erst an“, erzählt Teresa Maria Guerrero.

Einige Tage später wurde aus einem fahrenden Auto von der Straße aus auf das Haus, das sie mit ihren vier Kindern bewohnen, geschossen. Kurz darauf flog ein Flugzeug an zwei Tagen im Tiefflug über das Anwesen der Familie. Ihr Haus liegt außerhalb des Ortes, Nachbarn gibt es keine.

Mit dem Namen Yabrán assoziieren die meisten Argentinier einen Obermafioso. So stolperte im vergangenen Jahr der Justizminister Elias Jassan darüber, daß er zu oft die Privatnummer von Yabrán gewählt hat. Yabrán bestreitet sämtliche Vorwürfe. Cabezas habe er vorher nicht gekannt, und „es tut mir leid um den Jungen. Aber es tut mir auch leid, was mit mir geschieht“, geht er in die Offensive.

Direkt am Strand, unweit von Yabráns Haus, wollten einige Lokalpolitiker einen Platz am Strand auf dem Namen von José Luis Cabezas taufen. Doch der Bürgermeister, ein Freund Yabráns, stellte sich quer. Ein kleiner Garten am Ortseingang wird an Cabezas erinnern.

Nur in wenigen Geschäften hängt das Plakat „Vergeßt Cabezas nicht!“, das sonst überall im Land zu finden ist. Am Strand ist Business as usual angesagt, und das heißt Werbung: Brauereien haben überdimensionale Bierdosen aufgeblasen, die Bademeistertürme sind in den Farben des Postdienstes OCA gestrichen, der bis vor kurzem noch Yabrán gehört hat, und eine Kosmetikfirma heuerte zwanzig Mädchen an, damit sie die Badegäste mit Probepackungen ihres neuen Lippenstiftes versorgen.

Viele Einwohner wollen von Cabezas nichts mehr wissen. Eine Gemüseverkäuferin beschwert sich, daß der Mord ihr das „Geschäft versaut hat“. Und die Taxifahrer beeilen sich zu sagen, daß es nur zufällig Pinamar getroffen hat. Cabezas, sagen sie, hätte genausogut in Buenos Aires oder Córdoba ermordet werden können.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen