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Clintons überstandener Drahtseilakt

Junge Clinton-Fans bei einer „Party zur Lage der Nation“ freuen sich mit dem Präsidenten über seine Rede vor dem Kongreß. Sie finden die Vorwürfe gegen ihn ungerecht und sind froh, daß Clinton dazu nichts sagt  ■ Aus Washington Peter Tautfest

„Seine Feinde scheinen nicht zu wissen, daß er ein ehrenhafter Mann ist, daher die verzweifelte Wut ihrer Angriffe auf ihn“, sagt Charles B. Kellett, Angestellter einer Agentur, die Technologietransfer organisiert. Er kommt gerade aus Marokko zurück, wo er im Peace Corps gedient hat, und in Deutschland war er vor Jahren Austauschschüler. Der Mann, von dem er spricht, ist Bill Clinton, und heute abend ist Charles hier, um seine Unterstützung zu demonstrieren. Student ist er nicht mehr, was ihn nicht daran hindert, auf diese State-of-the-Union-Party zu kommen, die von den College Democrats in einer großen Brauereikneipe keine tausend Schritte vom Capitol entfernt organisiert wird.

Matt Hochstetter ist gut zehn Jahre jünger als Charles und studiert an der American University. Seine Augen glühen richtig, als er sagt, daß er ein Clinton-Fan ist. Was ihnen an Clinton gefällt? Seine Politik natürlich, die Ideale, für die sie steht. Das Peace Corps zum Beispiel und das vergleichbare AmeriCorps, das Studenten gestattet, die Kosten ihres Studiums durch soziale Dienste in städtischen Gemeinden abzuarbeiten.

Molly Morrison, Vorsitzende der College Democrats, war im Dezember auf Einladung des Präsidenten mit einer Gruppe Jugendlicher im Weißen Haus, um über Schul- und Bildungsprogramme zu sprechen. Der Umgang mit Jugendlichen macht Clinton anders als so viele andere Politiker nicht verlegen, das fand sie faszinierend: „Mit dem kann man reden wie mit einem ganz normalen Menschen, man muß sich geradezu zusammennehmen, um ihn nicht beim Vornamen anzureden. Das Weiße Haus macht auch einen ganz anderen Eindruck als der Kongreß, der etwas Mausoleumartiges hat. Clintons Weißem Haus merkt man an, daß da Menschen arbeiten und Tagesgeschäften nachgehen, im Kongreß wird Politik eher zelebriert.“

Die meisten Jugendlichen hier wollen nicht glauben, daß an den Vorwürfen gegen Clinton etwas dran ist. Aber können sie das Undenkbare zu denken wagen? Was, wenn sich doch als wahr herausstellt, was seit einer Woche die Schlagzeilen beherrscht? Charles Kellett glaubt, daß die meisten Jugendlichen im Lande von dem Skandal ebenso angewidert sind wie von dem Wirbel, den die Medien ausgelöst haben.

Gleichwohl nehmen sie die Beschuldigungen sehr ernst. „Das wäre wie kaltes Wasser auf den Idealismus der meisten, wenn sich herausstellte, daß Clinton tatsächlich ein Verhältnis zu dieser Praktikantin gehabt und dann deshalb gelogen hätte.“ Matt Hochstetter fügt nach einigem Zögern hinzu: „Wir haben aber auch großes Vertrauen in Al Gore.“

Nein, über den Skandal solle der Präsident heute nicht reden, das wäre das Dümmste, was er tun könnte. Höchstens erwähnen, daß die Verleumdungen einer Erwähnung im Bericht zur Lage der Nation nicht würdig sind. Das eine ist sein Privatleben, das geht niemanden etwas an, dies hier ist der Bericht zur Lage der Nation, hier geht es um die Wirtschaft des Landes und nicht um den Schund, den es unglücklicherweise hervorbringt“, erklärt Rick Greenfield, „es geht um Dow Jones, nicht um Paula Jones!“

Viele, die an diesem Abend in die Brauerei gekommen sind, wären wahrscheinlich nicht hier, wäre der Präsident nicht in Bedrängnis. Als er endlich auf dem übergroßen Bildschirm erscheint, verstummen die Gespräche, und dann übertönt der Applaus in der Brauerei den im Kongreß. Clinton wird wie ein Rockstar gefeiert, der die Bühne betritt. Als der Präsident zum Sprechen ansetzt, kehrt – für ein paar Momente – Ruhe ein.

Die nach oben auf den Bildschirm gerichteten Blicke verfolgen Clinton wie einen Artisten in der Zirkuskuppel: Wird er es schaffen, stürzt er ab? Nein, er stürzt nicht. Nachdem seine Rede im Kongreß zum zehnten oder zwanzigsten Mal von stehenden Ovationen unterbrochen wurden – die Menschen in der Kneipe stehen ohnehin schon –, entspannt sich die Stimmung. Es wird Bier bestellt, der Geräuschpegel steigt wieder. Der Präsident scheint diese Bewährungsprobe zu überstehen, das Gedränge lichtet sich. Clintons Ansprache ist – langweilig. Eine Aufzählung von Programmpunkten. Noch einmal brandet der Beifall auf, als er ankündigt, daß er durch Bundesgesetz die Mittel für die Anstellung von hunderttausend neuen Lehrern und die Klassenfrequenz auf achtzehn Schüler senken will.

Nach der Rede leert sich der Saal schnell. Die meisten scheinen ihre Pflicht getan zu haben, man kann sich wieder bewegen. Ob sie mit der Rede zufrieden waren? „O ja, sehr gut, sehr konkret, ein volles Programm“, erklärt Brad Kellogg, Student an der Georgetown University, „am Schluß war er ein bißchen langatmig.“

Ob es dem Präsident gelungen ist, das Thema zu wechseln? Greg Smith ist da eher skeptisch. Da wo er morgens auf dem Weg zur Arbeit frühstückt, werden sich die Leute wohl doch eher wieder über den Skandal unterhalten, das ist unterhaltsamer. „So sind die Amerikaner halt“, fügt er fast entschuldigend hinzu.

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