: Massensterben der Fahrräder
■ Die Städtische Galerie zeigt jene 15 Künstler, welche die letzte Ausscheidungsrunde um den Bremer Kunstförderpreis erreichten / 1. Preis an Elisabeth Schindler
Paradox: Wie (g)eifrig wurde nicht an der documenta X herumgemäkelt, damals, im Sommer. Und dennoch brannte sich Catherine Davids Kunstverständnis den Köpfen der Kunstverständigen offenbar so stark ein, daß es die Wahl von elf Bremer Galeristen und Museen als heimlicher, unsichtbarer zwölfter Juror aus dem Hintergrund deutlich mitentschied. Aus 117 Bewerbungen für den „Bremer Förderpreis für Bildende Kunst 1997“wurde von dem hiesigen Expertenteam kein einziger Maler herausgefischt. In die zweite Wettbewerbsrunde der 15 interessantesten Bremer Künstler gelangte hingegen viel Fotografie, viel Konzept, viel Installation. Den Normsetzern entfleucht man eben nicht so leicht. Auch nicht in der Kunst.
So hallen durch die Räume der Städtischen Galerie im Buntentor derzeit Stimmen aus Videos, Barockmusik vom Plattenspieler, sanftes Dröhnen von einer Videoinstallation: ein buntes Soundgewimmel. Die postmoderne Kunstszene ist ein Klasse-DJ. Überhaupt sollte man sich die spannende Ausstellung unbedingt anschauen. Auch Christo war da.
Christo! Der Solitär! Mit irrer Gründlichkeit spielt er eine/SEINE Idee durch. Da darf keinE andereR daran anknüpfen. Derk Claassen tut es trotzdem – und alle Besucher verlieben sich auf den ersten Blick rettungslos in seine zwei verpackten Fahrräder. Eines der Fahrräder steckt er unter eine durchsichtige Haut von Klebebändern, das andere verbirgt sich unter dem einzigartigen schlammekligen TESA-Packband-Beige. Und was sehen wir? Das einemal ein Fahrrad in durchsichtigem Geschenkpapier, das andere Mal eine Sphinx, oder ist es eine mexikanische Pyramide? Auf alle Fälle etwas Großartiges. Wir wohnen der zauberhafte Verwandlung eines Fahrrads in eine Skulptur bei. Schöner könnte das auch David Copperfield nicht. Wir alle müssen bekennen, wir haben bisher unsere Fahrräder unterschätzt. Die haben ein reiches Innenleben. Da ist ein Potential da. Claassen bringt es zur vollen Entfaltung. Süß.
Der Fahrradverschleiß der Ausstellung ist enorm. Karsten Joost betreibt sein interaktives Kino nicht mit tüfteligen Computerprogrammen, sondern mit einem komplizierten Fahrradpedalbetrieb. (4 Räder mußten dafür sterben!) Der Betrachter darf sich also seinen Film selber erstrampeln, wird endlich zum Herrscher über das Ti-ming. Aber selbst bei Jan Ullrichschem Arbeitseinsatz erzielt er kein Hollywoodtempo. Statt dessen dreht Joost seinen Zuschauer in aller Ruhe durch rumpelkammrige Räume. Dort kann man dem Streulicht beim Glitzern zuschauen. Und siehe da: Dieses Streulicht, das hat viel mehr Sexappeal als Brad Pitt. Übrigens ist Karsten Joost taz-Fotograf - und seine Arbeit die Schönste und Klügste von allen, zumindest für Cineasten.
Im Gegensatz zu Joosts working-class-hero-Einsatz am Schweißgerät und im Fotolabor legte Elisabeth Schindler eine schnelle Arbeit hin. Eine cleane Sprecherin verkündet aus dem TV–Rahmen nüchtern die verlockende Nachricht: „Sie sind auf Echtzeit Ihres Lebens.“Dann gefriert sie zum Standbild, darin eingeblendet: „Jetzt“und „-1“. An den goldenen Augenblick ist einfach nicht ranzukommen. Tot und grau verhakt er sich im TV-Kasten. Und genau das löst eine Aha-Mikrosekunde aus, doch ein bißchen Echtzeit – vielleicht. Trickreich, frustrierend, verblüffend. 10.000 Mark und 5.000 Mark für einen Katalog bringt die winzig-witzige Idee der 36jährigen Bremerin ein. Verdientermaßen.
Auch Nils Klempow meditiert über das zeitlose Thema Zeit. Geruhsam fließen die Zeitebenen ineinander, nicht sinnlich, sondern theoretisch-begrifflich: „eben“, „war gerade“, „noch gleich“. In seiner Arbeit gibt es aber nicht diesen Es-macht-kling-Moment, wo man sich einbildet zu begreifen. Ein Unterschied, der 15.000 Mark kostet. Trotzdem nicht schlecht.
Auch Michael Hoff läßt nachdenken, auch er in und durch trockene Buchstaben. Es geht um wichtige (abgedroschen?) Dinge wie die Frage nach der Zuverlässigkeit des Augenscheins oder: Wann ist ein Kunstwerk ein Original? Nur: Man bekommt partout keine Lust nachzudenken. „Wenn man ein Buch gegen einen Schädel schlägt und es klingt hohl, muß das nicht unbedingt am Buch liegen.“(Lichtenberg) Aber auch nicht unbedingt am Schädel.
Jörg Bloem ist Neonkünstler. In Wahrheit ist auch er Nachdenker, der dritte Wortkünstler im Bunde, einer, der in Sprachpartikel hineinlauscht, solange, bis sie eine Tiefenbedeutung freigeben. „Erwartet Sie“– „Er wartet sie“. Wir kriegen was geboten, aber eigentlich hätten wir lieber ein Date, oder? Auch hier dieses knisternde Aha!
Tom Terhoeven dagegen denkt nicht! Er pflanzt eine Waschmaschinen-trommel auf vier (geklaute?) F-a-h-r-r-a-d-reifen (!), freut sich über das absurde Theater seiner Bastelarbeit und lacht schalkig. Im heißen Rhythmus von Vor- und Hauptwaschgang (“das Schleudern mußte ich abklemmen“) swingt sein Waschwagenzombie auf Gleisen. Aus der Trommel blitzen Discolichter. Geht da ein Breakdance der Strümpfe vor sich? Im Hintergrund aber posaunt Händel, die Wassermusik. (Tom Terhoeven glaubt, sie sei von Telemann, süß.) Sympathisch pervers wie Tinguely-Maschinen, nur viel, viel lustiger.
Astrid Küvers zeigt in einer tollen Fotoreihe ihren Alltag mit Paul, Silke, Kaki, Tina usw. Mit diesen Freunden hängt sie in Bars ab, gammelt vor 'ner Teetasse, rastet im Park. Paul, Silke, Kaki und Tina sind Gemälde, Astrids Gemälde. Hier denkt nicht Kunst hirnschweißend über Kunst nach, hier zeigt eine konkrete Frau Astrid Küvers, wie sie mit den Bildern aus dem eigenen Kopf lebt. Eigentlich sollten auch wir so innig-alltäglich mit Bildern leben. Mit diesem lehrreichen Satz lassen wir Sie jetzt allein durch die Austellung streifen. Es gibt noch viele beeindruckende Fotoarbeiten und Installationen zu sichten. B.Kern
Buntentorsteinweg 112, bis 22.2., Di+Do 10-18h, Mi+Fr 10-16h, So 11-16h
Preisverleihung, heute, 19 Uhr
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