Halbzeit für den FC Zwietracht Berlin

■ Elf Freunde müßt ihr sein: Am Wochenende beginnt die Rückrunde der Fußballbundesliga. Auch für den Berliner Vertreter, den FC Zwietracht, ist die Halbzeit der Saison Anlaß für einen Rückblick und eine Leistungsbilanz. Die taz präsentiert die hochbezahlten Profis, die den Ruf der Stadt verteidigen, zeigt die Spielmacher, die Bremser, die internen Querelen und analysiert die Stimmung in der Mannschaft. Das Fazit ist ernüchternd: Will Berlin nicht absteigen, müssen die Spieler des Vereins in der zweite Halbzeit ihre Vorstellung deutlich verbessern.

Noch mit beinah weißer Weste spielt Ehrhart Körting. Doch in die Position eines zweiten Stürmers muß er erst hineinwachsen. Übernommen hat er das Trikot von seiner Vorgängerin Peschel-Gutzeit, die vom FC Rot-Grün Hamburg zur Verstärkung des hanseatischen Teams eingekauft wurde. Körting, der lange Zeit überhaupt kein Fußball gespielt hat, irrt noch recht orientierungslos auf dem weiten Feld umher. Sein Einsatz für das Abhören fremder Mannschaftskabinen hat gezeigt, wie flexibel er mit den Spielregeln umgehen kann. Mit seinem Sturmkollegen Schönbohm praktiziert er den engen Doppelpaß bei der Frage mehrfach verwarnter Jungspieler.

Der einzige echte Stürmer des FC Zwietracht heißt Jörg Schönbohm. Der vom Armeesportclub ausgeliehene Wahlberliner will die Gegner überrumpeln. Dabei überschreitet er zuweilen die Grenzen des Erlaubten, doch die Zuschauer nehmen ihm das kaum übel. Schönbohm gilt als lauffreudig, schnell entschlossen und hart gegen sich und andere. Haarige Themen wie etwa die Umstrukturierung des Vereins nimmt er nur sehr zögernd in Angriff. Beim Feldverweis für Hunderte ausländische Spieler wirkte er ohne Zögern mit. Schönbohm macht sich für die Neuregelung der Bundesliga nach dem strengen US-amerikanischen Vorbild der Null-Toleranz stark.

Das zentrale Mittelmaß beim FC Zwietracht beherrscht souverän Beate Hübner. Bälle, die das Team nach vorn bringen sollen, verschwinden an ihrer Position in einem schwarzen Loch. Der Teamneuling ist mit der Rolle überfordert: Die lebenswichtigen Impulse für das Spiel aus dem Mittelfeld fehlen. Als Mannschaftsärztin ist sie eine Fehlbesetzung, weil sie kein Blut sehen kann. Dennoch spielt sie eng mit Schönbohm, wenn es gegen ausländische Teams geht. Die Zuschauer nehmen Hübner oft überhaupt nicht wahr. Beobachter vermuten, daß sie sich bei den wichtigsten Spielen die von der Fifa eigentlich strikt verbotene Tarnkappe aufsetzt.

Auf aussichtslosem Posten steht im linken Mittelfeld Christine Bergmann. Das allerdings ist weniger ihre Schuld als ein Grunddilemma der Bundesliga. Jeden Monat neu überrennen Massen von BewerberInnen um einen Arbeitsplatz im Verein die Position von Bergmann, die sich mehr und mehr in die Defensive gedrängt sieht. Inzwischen führt sie einen reinen Abwehrkampf, der zunehmend perspektivlos wird. Ihr Verhalten als stellvertretende Spielführerin dagegen ist tadellos. Aus der Mannschaft des FC Zwietracht ist sie die einzige, auf die die Bundestrainer Schröder/Lafontaine ein Auge für die Nationalmannschaft geworfen haben.

Einen leichten Wirbelwind hat Peter Radunski im rechten Mittelfeld entfacht. Der Kosename „Kugelblitz“, den ihm seine Fans geben, bezieht sich dabei genauso auf sein vorheriges Leben als Parteimanager wie auf seine Wirkung, bei schnellen Kontern ab und zu einige Querschläger anzubringen. Besonders gegenüber Studentenmannschaften verfolgt Radunski die Taktik, den Anschein von Fairneß mit beinharter Abwehrarbeit zu widerlegen. Undurchsichtig ist seine Verwicklung in eine Theaterpleite außerhalb des Rasens. Radunski unterhält gute Beziehungen zu Bundestrainer Kohl und dient als Gelenk in der Achse Diepgen-Klemann-Schönbohm.

Die Rolle als Libero beim FC Zwietracht ist Peter Strieder auf den Leib geschneidert. Der ehrgeizige Nachwuchsspieler aus den Kreuzberger Hinterhofplätzen strotzt nur so vor Selbstvertrauen und Energie. Die aber setzt er oft ungezielt ein: Als Libero spielt er überall, doch wirklich sichtbar ist sein Wirken nur sehr selten. Auf den Mannschaftssitzungen gilt er als Stimmungskanone, und er wird auch sonst ab und zu belächelt. Strieder hat sich seine Rolle als Libero ohne eigenen Geschäftsbereich selbst erkämpft: Sie bietet ihm gute Gelegenheiten, seinem Erzrivalen Jürgen Klemann immer wieder überraschend von hinten in die Beine zu treten.

Annette Fugmann-Heesing spielt den Terrier der Mannschaft. Gnadenlos und eisenhart zeigt sie dem Team, was dieses sonst nicht kennt: Disziplin. Gefahren für das eigene Tor werden von Fugmann- Heesing rücksichtslos niedergegrätscht. Dabei kann sie ihren Eifer oft nur mühsam im Zaum halten: Allzuoft muß sie die verbotene Notbremse kurz vor dem Strafraum ziehen und schwebt so dauernd in der Gefahr, des Feldes verwiesen zu werden. Nach den Spielen ist sie oft völlig mit Dreck beworfen. Erfolg bei der Drecksarbeit macht einsam, doch ihre Aufstellung ist nie wirklich in Frage gestellt: Alle wissen, daß sie auf ihrem Platz die Beste ist.

Größte Stütze bei der Verteidigung des Diepgen-Tores ist Jürgen Klemann. Denn die herausragende Fähigkeit des Routiniers ist mauern, mauern und nochmals mauern. Er bevorzugt das energiesparende, bewegungslose Stellungsspiel. Jeder Veränderung widersetzt er sich hartnäckig, was seine Anhänger immer wieder zu stehenden Ovationen hinreißt. Neue Vorschläge für eine andere Taktik der Mannschaft befördert Klemann mit dem Bleifuß ins Aus. Lebendig wird er nur, wenn er sich mit Libero Strieder anlegt. Ob bei Training, Mannschaftssitzung oder Punktspiel – für ein verstecktes Foul an seinem größten Rivalen ist immer eine Gelegenheit.

In der linken Defensive bewegt sich Ingrid Stahmer. Eigentlich sollte sie in dieser Saison Kapitänin einer gänzlich neuen Zwietracht- Mannschaft werden, doch die Zuschauer wollten es bei der Abstimmung anders. So schmollt sie auf ihrer ungeliebten Position. Nur selten greift sie voller Elan einen Ball auf, hetzt über das Feld, verdribbelt sich früher oder später und stellt sich selbst ein Bein. Selbst die eigenen Kollegen spielen oft gezielt an ihr vorbei. Immer wieder kursieren Gerüchte, Stahmer solle ausgewechselt und sogar an einen anderen Verein verkauft werden. Ihr Glück: Ein Ersatz ist nicht in Sicht, und andere Vereine haben auch kein Geld.

Das wandelnde Burn-out-Syndrom spielt auf der rechten Deckungsseite. Elmar Pieroth erleidet dort seit Spielbeginn eine Niederlage nach der anderen. Überhaupt wurde er erst dorthin versetzt, nachdem er als Schatzmeister die Vereinskasse gründlich heruntergewirtschaftet hatte. Ohne Saft und Kraft geht Pieroth in die Zweikämpfe, erscheint unmotiviert zu den Mannschaftssitzungen. Schon lange wird seine Auswechslung im Paket mit der Verteidigerin Stahmer gefordert. Die beste Entscheidung vor der Saison war, Pieroth von seinem Posten abzuberufen und dafür Fugmann-Heesing einzukaufen: Seine Nachfolgerin definiert die Position völlig neu.

Torwart Eberhard Diepgen muß ständig die Fehler seines Teams ausbügeln. Der trainingsfleißigste Spieler, der der dienstälteste Kapitän aller Berliner Mannschaften ist, muß interne Streitigkeiten in seiner Truppe ebenso ausgleichen wie Tiefschüsse auf sein Tor abwehren. In seiner Treue zum Verein übertrifft er alle anderen, wirft sich aber ebenso gern wie erfolglos in die Pose des abgebrühten metropolitanen Nationalspielers. Oft muß er hinter sich greifen und mit der Mannschaft Niederlagen einstecken, um in der Bundesliga den Abstieg zu verhindern. Diepgen kann nicht verhehlen, daß der FC Zwietracht eigentlich nur Regionalligaformat hat.