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Bayern und Bremen sind positiv

■ Länderfinanzausgleich und Föderalismus: Zur aktuellen Auseinandersetzung zwischen den wirtschaftlich starken Bundesländern und den schwachen / Zehn Thesen zur Diskussion um den bundesstaatlichen Finanzausgleich Von Bürgermeister Hartmut Perschau

Mit seiner Wirkung gegen Partikularismus wie gegen zentralistische Gleichmacherei ist der Föderalismus wesentliches Staatsprinzip der Bundesrepublik Deutschland und Garant für politische Stabilität. Darum beneiden uns viele in unseren Nachbarstaaten. Föderalismus lebt von Unterschieden statt von Gleichförmigkeit. Er ist mehr als ein verwaltungs technisches Konstrukt, drückt kulturelle wie historisch-politische Vielfalt aus. Ein Eckpfeiler des mit unserer Demokratietradition untrennbar verbundenen bündischen Prinzips ist das System der wechselseitigen Unterstützung und Solidarität zwischen Bund und Ländern. Dieser sogenannte „bundesstaatliche Finanzausgleich“gliedert sich in eine horizontale Ebene (den „Länderfinanzausgleich“) sowie in die vertikale Variante (der Bund an die Länder). Es gehört zum Wesen der Politik, verstanden als die Auswahl zwischen interessenbestimmten Handlungsalternativen, daß auch dieses Ausgleichssystem immer wieder kritisiert wird. Das Besondere an der aktuellen Diskussion ist, daß sie mit sachlich unzutreffenden Behauptungen und zu einem Zeitpunkt des äußerst schwierigen Ausgleichens zwischen alten und neuen Ländern geführt wird.

1. Das Verhältnis der „Zahler“und „Nehmer“im Länderfinanzausgleich ist ausgeglichen.

Im Länderfinanzausgleich leisten fünf „Zahlerländer“mit insgesamt 48 Millionen Einwohnern Ausgleichszahlungen für weitere elf Länder. Diese sogenannten „Nehmerländer“, zu denen die fünf neuen Länder und die Bundeshauptstadt Berlin zählen, haben zusammen 34 Millionen Einwohner. Es ist also falsch, daß nur wenige die Lasten für viele aufbringen, wie es immer wieder behauptet wird.

2. Der Länderfinanzausgleich gleicht „Spitzen“aus, wobei der Umfang zwischen den alten Bundesländern ständig abnimmt.

Im Jahr 1980 gelangten noch 1,8 Prozent der Steuern der Länder und ihrer Gemeinden in den Ausgleich, 1994 nur noch 0,9 Prozent. Dies verdeutlicht die Funktion als Spitzenausgleich. Seit 1995 übernehmen die alten Länder insgesamt für die Einbeziehung der neuen Länder zusätzliche Lasten. Das Volumen der Ausgleichszahlungen unter den alten Länder hat sich weiter auf 0,4 Prozent der Steuereinnahmen reduziert. Deshalb ist die Behauptung falsch, die Intensität des Ausgleichs und die Lasten für die Zahlerländer hätten sich ständig erhöht.

3. Durch den Finanzausgleich kommt es zu keiner Verschiebung der Rangfolge unter den finanzstarken Ländern, weder im Länderfinanzausgleich noch aufgrund von Bundesergänzungszuweisungen.

Die Reihenfolge der Länder nach ihrer Finanzkraft vor und nach dem Finanzausgleich kann nur nach den im Finanzausgleichsgesetz vorgeschriebenen Abgrenzungskriterien berechnet werden. (...) Das Finanzausgleichsgesetz schreibt den Ausgleich unter den Ländern nach dem Maßstab der Einwohner vor, die Einwohner der Stadtstaaten (Berlin, Hamburg und Bremen) sind nach dem Gesetz mit dem Faktor 1,35 zu gewichten (Einwohnerwertung). Ein Vergleich muß deshalb – entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – die Finanzkraft je Einwohner einschließlich dieser Gewichtung vergleichen. Das tun die Berechnungen nicht, schon deshalb sind die Zahlen, mit denen nach dem geltenden Finanzausgleichsgesetz nicht vergleichbar.(...) Auch bei Einbeziehung der zusätzlichen Leistungen des Bundes kommt es zu keiner Verschiebung der Rangfolge. (...) Sonder-Bundesergänzungszuweisungen dürfen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur Ländern gewährt werden, bei denen Sonderlasten vorliegen, die andere Länder nicht haben. Sie ergänzen den Länderfinanzausgleich, der den Ausgleich ohne Rücksicht auf Bedarfe und besondere Lasten allein pauschal nach der Zahl der Einwohner vornimmt. (...)

4. Der Finanzausgleich verfolgt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das Ziel, den Ländern eine angemessene Finanzausstattung zu gewährleisten. Diese soll sie in die Lage versetzen, die ihnen nach der Verfassung obliegenden Aufgaben auch tatsächlich erfüllen zu können. Der Finanzausgleich ist daher wesentliche materielle Grundlage der bundesstaatlichen Ordnung.

(...) Man mag der Auffassung sein, es sei politisch zweckmäßig, die Lasten der Zahlerländer nach allgemeinen Kriterien zu begrenzen, ein solcher verfassungsrechtlicher Grundsatz läßt sich aber nicht ableiten. Wie wenig dieses Argument trägt, zeigt die Haltung des Landes Hessen, das die höchsten Lasten trägt und erklärt hat, es hielte die vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken nach eigener Prüfung für nicht „belastungsfähig“.

5. Kern der Sache ist: Der gegenwärtige Finanzausgleich ist kein Verfassungsproblem. Was die Kritiker wollen, das sind Änderungen, die man mit politischen Mehrheiten durchsetzen kann. Teure Gutachten oder ein erneutes Anrufen des Bundesverfassungsgerichts führen da nicht weiter.

Es besteht ein Erklärungsbedarf, warum bereits drei Jahre nach Inkrafttreten des neuen Finanzausgleichs wieder eine Änderung angestrebt wird. Dieses Gesetz ist mit allen seinen Ausgleichsregelungen und mit seinen besonderen Bestimmungen – insbesondere für die neuen Länder – als gemeinsamer Standpunkt aller Länder auf einer Sonderkonferenz in Potsdam einstimmig und nach Lastenteilung mit dem Bund ohne Abstriche beschlossen worden. Es ist erklärungs bedürftig, warum der Solidarpakt zur materiellen Herstellung der deutschen Einheit mit einem Mal nicht mehr gelten soll. Der Finanzausgleich ist damals nach den Belastungen der einzelnen Ländergruppen in langen Verhandlungen im einzelnen austariert worden. Der Solidarpakt ist ein besonders positives Beispiel der Handlungsfähigkeit und Solidarität der Länder. Diese Eigenschaften werden zum Nutzen aller Länder weiterhin – und auch in naher Zukunft – gebraucht, sonst werden die Länder in ihrer Gesamtheit Schaden nehmen.

6. Steuermehreinnahmen werden im Finanzausgleich ausdrücklich nicht in vollem Umfang abgeschöpft. Die kommunale Finanzkraft wird nur zur Hälfte berücksichtigt.

Beispielsweise hatte Baden-Württemberg (ebenso Bayern) 1996 eine Finanzkraftmeßzahl von 109 Prozent – nach Finanzausgleich 103 Prozent. Die über dem Durchschnitt liegende Finanzkraft wurde danach zu zwei Dritteln abgeschöpft. Bei einer hälftigen Abschöpfung der Überschüsse würden Baden-Württemberg 104,5 Prozent verbleiben (die Ausgleichs pflichten von rund 2,5 Milliarden DM würden sich um rund 640 Millionen DM reduzieren). Zur Relativierung dieses Anliegens muß aber angemerkt werden, daß die kommunale Finanzkraft grundsätzlich nur zu 50 Prozent in den Finanzausgleich eingestellt wird. (...)

7. Jedes Land hat – auch aufgrund des geltenden Finanzausgleichs – ein elementares Interesse, seine originäre Finanzkraft zu steigern.

Es geht nicht einfach darum, mehr Leistungsanreize zu schaffen, um dadurch einzelne Länder politisch anzuhalten, ihre Finanzkraft zu steigern. Ich glaube, es gibt nicht ein Land der Bundesrepublik Deutschland, das auch im geltenden Finanzausgleichssystem nicht ein elementares Interesse hätte, seine originäre Finanzkraft zu stärken. Es wird der Eindruck erweckt, Finanzkraftschwäche beruhe auf zu geringen Anstrengungen – letztlich auf eigenem Verschulden. Als Beispiel nenne ich nur einmal die Zahlungen Baden-Württembergs in den Länderfinanzausgleich, die im Zeitraum 1991 bis 1994 von 2,5 Milliarden DM auf 400 Millionen DM zurückgingen. Beruhte dieser Rückgang der Finanzkraft Baden-Württembergs auf politischem Versagen? – Wohl kaum. Für wirtschaftliche Entwicklung können durch die Länder günstige Standortvoraussetzungen geschaffen werden, mehr aber nicht.

8. Mehr Konkurrenz unter den Ländern um Standort- und Wirtschaftskraftentwicklung setzt gleiche Startchancen voraus. Oder anders herum: Wettbewerb ohne gleiche Ausgangsbedingungen ist unfair.

Herrschen im Deutschland des Jahres 1998 gleiche Wettbewerbsbedingungen unter den bestehenden Ländern? Das ist nicht der Fall. Die neuen Länder weisen aufgrund ihrer Geschichte eine extrem niedrige Wirtschafts- und Finanzkraft aus, sie würden mit einem gewaltigen Handicap in das Rennen gehen. Sachsen als das finanzstärkste der neuen Länder verfügt vor der Auffüllung durch die Umsatzsteuerverteilung über eine Finanzkraft von 42 Prozent. (...)

9. Positive Beispiele beweisen Sinn und Zweck des bundesstaatlichen Finanzausgleichs – etwa Bayern und Bremen.

In der Position der „Geberländer“drücken sich grundsätzlich bessere Rahmenbedingungen aus, etwa bei der Finanzkraft, bei niedrigeren Schulden und Zinsen, bei der Arbeitslosenquote, bei den sozialen Kosten oder auch bei dem wichtigen Standortfaktor „Infrastruktur“. Der Freistaat Bayern war fast vier Jahrzehnte „Nehmerland“und erhielt dabei Hilfszahlungen in Milliardenhöhe. Diese dienten insbesondere der Umstrukturierung der bayrischen Wirtschaft hin zu einem modernen und zukunftsfähigen Standort. Der Erfolg dieser Bemühungen beweist sicher die Richtigkeit vieler Entscheidungen der bayrischen Staatsregierung, aber auch die Notwendigkeit des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und die Tatsache, daß der Finanzausgleich etwas bewirken kann und eben keine „finanzielle Hängematte“darstellt. Politische Fehlleistungen können zum Absinken der Wirtschafts- und Finanzkraft führen. Den finanzschwachen Ländern dies jedoch als Regelfall zu unterstellen, ist abwegig. Die Freie Hansestadt Bremen war bis zur Einführung des Wohnsitzprinzips bei der Lohnsteuererhebung 1969/70 „Geberland“im Länderfinanzausgleich. Neben dem mit dieser „Lohnsteuerzerlegung“verbundenen Abfluß von Steuern (vor allem ins niedersächsische Umland) waren sicher auch politische Fehlentscheidungen mitbestimmend für das Absinken der Wirtschafts- und Finanzkraft an der Weser. Die Trendwende 1995 mit der Bildung einer SPD-CDU-Koalition zeigt jedoch den positiven Wandel, der möglich ist. Abweichend vom Bundestrend wuchsen die Steuereinnahmen. Als Ergebnis stieg seit 1996 die Finanzkraftmeßzahl von 74 auf 87 Prozent. Die Abhängigkeit vom Länderfinanzausgleich konnte mehr als halbiert werden. Ansprüche des Landes reduzierten sich im vergangenen Jahr um über 390 Millionen DM auf nur noch rund 345 Millionen DM. Zum Vergleich: Das Gesamtvolumen des Länderfinanzausgleichs liegt bei zwölf Milliarden DM. Diese positive Entwicklung nützt unmittelbar den „Geberländern“. In den beiden zurückliegenden Haushaltsjahren haben wir jeweils nahezu Nullwachstum bei den Ausgaben erreicht. Zudem belegten wir mit 2,9 Prozent Wirtschaftswachstum im ersten Halbjahr 1997 bundesweit Rang eins.

10. Man wird den Eindruck nicht los, daß die Argumente gegen den aktuell gültigen Finanzausgleich darauf abzielen, vorrangig die Wähler in den eigenen Ländern zu motivieren.

Ein Blick auf den Terminkalender zeigt: Eine Reihe von Wahlen stehen bevor. Da paßt es gut, die Konflikte im Außenverhältnis zu suchen.

Die Finanzminister von Bund und Ländern mußten kürzlich feststellen, daß die Wachstumsraten der neuen Länder gegenwärtig noch hinter die der alten Länder zurückgefallen sind. Unter solchen Bedingungen allgemein das Ausgleichsniveau zu reduzieren und die Konkurrenz unter allen Ländern zu verschärfen, dies hieße, die politische Realisierung der deutschen Einheit in Frage zu stellen. Denn aktuell fließen knapp 90 Prozent der Mittel des Länderfinanzausgleichs in die neuen Länder und nach Berlin. (...) Die historische Aufgabe ist, den finanzschwachen Ländern das Aufholen ausdrücklich zu erleichtern und die deutsche Einheit auch materiell herzustellen. Es bedarf der Aufrechterhaltung des Solidarpakts in all seinen Elementen mindestens bis zum Jahre 2004. Erst mit dem Erstarken der neuen Länder und Berlins werden die Zahlungen zurückgehen. Wenn dann annähernd gleiche Startbedingungen für alle Länder bestehen, könnte auch über eine Verstärkung der Leistungsanreize im Finanzausgleich geredet werden. Darauf haben nicht nur die Menschen in den neuen Ländern einen Anspruch.

Hartmut Perschau (CDU) gehört seit Juli 1995 dem Senat der Freien Hansestadt Bremen an, in der SPD-CDU-Koalition zunächst als Wirtschaftssenator, seit Herbst 1997 als Bügermeister und Finanzsenator.

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