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Erhobenen Hauptes gehen

In Modellprojekten sollen afrodeutsche Kinder genügend Stärke entwickeln, um die Diskriminierung aufzufangen. Auch Eltern reichen ihren Kindern oft Vorurteile weiter  ■ Von Karen Wientgen

Drei Jungen stürzen sich auf einem Spielplatz auf ein schwarzes Kind. Zwei halten es fest, der andere schlägt zu. Als alles vorbei ist, sagt eine danebenstehende Frau zu einer anderen: „Eigentlich hätten wir dem Kind helfen müssen.“ Die andere erwidert: „Was soll's. Das war ja bloß ein Neger.“ Ein anderes afrodeutsches Kind muß beim Schulfest miterleben, wie mit „Negerküssen“ geworfen wird. Als die Mutter an die anderen Eltern appelliert, dieses Spiel in Zukunft wegzulassen, stößt sie auf Unverständnis. Man findet sie überempfindlich. Weiße Schulkinder rufen ihrem schwarzen Mitschüler „Neger“ hinterher und wollen ihn nicht mitspielen lassen.

„Jeder von uns hat solche Erfahrungen gemacht“, sagt Adel Oworu von der Initiative Schwarze Deutsche und Schwarze in Deutschland (ISD). Wenn man der einzige Dunkelhäutige in einer weißen Umgebung ist, sei es schwierig, mit Diskriminierung umzugehen. Damit ihre Kinder nicht wie sie „vereinzelt aufwachsen“, hat Oworu mit anderen den Verein Liyandja gegründet (Tel: 2926974). Die Frauen treffen sich regelmäßig in einer der Wohnungen, damit ihre drei- bis vierjährigen Kinder auch afrodeutsche Spielkameraden haben. „Die Kinder sollen merken, daß sie nicht die einzigen afrodeutschen Kinder sind. Wir wollen von Anfang an das Selbstbewußtsein unserer Kinder stärken.“ Sie sollten lernen, „daß man erhobenen Hauptes durch die Welt gehen muß“.

Nach Ansicht von Katharina Oguntoye reichen aber Spiel- und Freizeitangebote nicht aus. Da war zum Beispiel ein Junge, der „ein ganz negatives Bild von der weißen Kultur“ hatte, der sich weigerte, ein Spiel wie Memory zu spielen, auf dessen Bilder alle Personen weiß sind. Der Junge habe „sich ständig Gedanken über Sklaverei“ gemacht. Viele Kinder und deren Mütter sind „total überfordert“ mit dem Rassismus, den sie erleben.

Bisher gab es keine Möglichkeiten, solche Erfahrungen aufzuarbeiten. Ein „fachlich konzipiertes Projekt“, das therapeutische Hilfe anbietet, sei dringend notwenig, so Oguntoye. Darum gründete die IDS und der interkulturelle Verein Joliba im vergangenen Jahr ein Modellprojekt für afrodeutsche Kinder, das in den nächsten Wochen seine Arbeit aufnimmt (Tel.: 8131048). Dort sollen sechs- bis dreizehnjährige Kinder über ein Jahr hinweg von zwei Therapeuten betreut werden. Außerdem will das Projekt den Eltern als Gesprächspartner zur Seite stehen.

Eine Beratung für Eltern ist notwendig, erklärt Soziologin Lwanga, die in der Vergangenheit über weiße Mütter schwarzer Kinder geforscht hat. Nicht nur der offene Rassismus außerhalb des Hauses, auch das Verhalten der Eltern könne es schwarzen Kindern schwermachen, sich zu akzeptieren. Gerade weißen Mütter könnten oft die Schwierigkeiten ihrer Kinder nicht ganz nachempfinden. Hier spricht Lwanga, selbst Mutter eines 15jährigen Sohnes, aus eigener Erfahrung. „Wenn ein Kind eine Erklärung für seine Diskriminierung haben will und die Eltern drauf antworten: ,Weil du halb weiß und halb schwarz bist‘, vermittelt die Mutter dem Kind unbewußt das Gefühl, ein „halbes Wesen“ zu sein. Dabei sei das Problem natürlich nicht die Hautfarbe der Kinder, sondern die Umgebung, die es hineinprojiziert: „Die Hautfarbe ist eine soziale Konstruktion.“ Nur wenn dies erkannt werde, könnten sich die Kinder distanzieren und sich entwickeln, statt sich zurückzuziehen und aggressiv zu werden.

Nicht nur den negativen Rassismus, auch positive Klischees würden manchmal Mütter an ihre Kinder weiterreichen, indem sie ihren Kindern vermitteln, daß sie für Weiße attraktiv seien, wenn sie „toll trommeln oder tanzen können“. Als ein weißes Ehepaar ein brasilianisches Kind adoptierte, hätten sie ständig Samba-Musik laufen lassen. „Dadurch werden Kinder festgelegt, denn vielleicht wollen sie lieber Klavier spielen statt trommeln und tanzen.“

Selbst wenn die Eltern alle Klippen umschiffen, spätestens im Kindergarten oder in der Schule holt die Kinder der Rassismus ein. Während kleinen schwarzen Kindern noch der Kopf getätschelt wird mit den Worten, ach, ist der aber süß, kann ihnen später als Extremfall drohen, daß andere Kinder nicht mit ihnen spielen wollen, so Oworu.

Die Notwendigkeit afrodeutscher Kinderprojekte scheint groß zu sein, vor allem wenn man bedenkt, daß 13.000 Afrikaner in Berlin registriert sind und schätzungsweise 30.000 Afrodeutsche hier leben. Um so erstaunlicher ist es, daß der einzige afrodeutsche Kindergarten vor kurzem geschlossen hat, gerade mal fünf Anmeldungen beim afrodeutschen Modellprojekt eingingen und es nicht mehr Initiativen gibt. Lwanga glaubt schon, daß ein großes Interesse in der Black Community an afrodeutschen Kinderprojekten besteht. Daß es nicht mehr Projekte gibt und der Kindergarten geschlossen hat, liege an der mangelnden öffentlichen Unterstützung. Selbst im linken Spektrum fehle das Problembewußtsein. Adel Oworu glaubt, daß viele Eltern afrodeutscher Kinder es ablehnen, sie mit schwarzen Altersgenossen zusammenzubringen. „Sie denken, daß die Kinder sich daran gewöhnen müssen, in der weißen Gesellschaft klarzukommen, daß man sie stählen muß.“

Black History Month: 6147502

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