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Tief und gefährlich sind die Fluten des Ostens

Ostaustralien unter Wasser ist Tummelplatz von Schafskopfschildkröten, Krankenschwesterhaien und Tauchern – wenn die sich trauen  ■ Von Leila Dregger

Von Süden bläst heftig der Wind, die Gischt schlägt hoch an die Felsen. Ich hänge mit Maske und Atemgerät an der Boje, die Wellen schlagen über meinem Schädel zusammen, unter mir liegen 18 Meter Wassertiefe. Meine Instinkte streiken. Ich will nicht runter.

Das Tauchgebiet Julian Rocks ist Cape Byron vorgelagert, dem östlichsten Punkt Australiens. Wild sehen sie aus, die Felsen. Kein Wunder, sind sie doch nach einer Aboriginal-Legende des lokalen Bundjalung-Stammes durch ein Eifersuchtsdrama entstanden: Ein Ehemann warf den Speer auf das Kanu seiner Frau und deren Liebhaber, die beiden Hälften des geborstenen Kanus tauchten an die Oberfläche und bildeten die beiden Felsen.

Infolge der herausragenden topographischen Lage mischen sich bei Julian Rocks südliche und nördliche Strömungen. Tropisches und subtropisches Wasser fließt zusammen, und Felsen und Korallenriff bieten 500 Fischarten aus beiden Klimaregionen Schutz, Kinderstube und Nahrung. Tropische Fischschwärme, weiche und harte Korallen, Schwämme gedeihen hier ebenso gut wie weiter im Norden. Meeresschildkröten, Muränen und Mantarochen trifft man hier genauso wie Haie, Delphine und durchziehende Buckelwale auf ihrer Wanderung.

Julian Rocks ist ein Leckerbissen für jeden Taucher, aber dafür habe ich im Moment keinen Sinn. Ich weigere mich, mein Bedürfnis nach frischer Luft einer Flasche auf meinem Rücken anzuvertrauen. Der Mensch hat eine Million Jahre Evolution an Land hinter sich, fürs Wasser ist er nicht gebaut.

Unter Wasser, versichern mir die Tauchlehrer, ist es ganz ruhig. Ein einzigartiges, stilles Tauchparadies. „Remember the times, when sex was safe and diving dangerous!“ steht im Büro der Tauchschule. Und auch sonst tun die auf fair, firm, friendly trainierten Tauchlehrer alles, um den eingefleischten Landratten Vertrauen einzuflößen. Der Hai-Witz macht die Runde; die sind aber nicht das Problem. Von den 40.000 Tauchern im Jahr wurden erst zwei von Haien angefallen. Die eigene Psyche ist das Problem. Ich versuche ein letztes Mal, einen guten Eindruck zu machen, ein Meter unter Wasser, dann fliehe ich wieder an die Oberfläche und reiße die Maske runter. Ich will nicht!

O Warren, geduldigster aller Tauchlehrer und vertraueneinflößendes Muskelpaket! Wenn du jetzt irgendein Zeichen von Ärger oder Ungeduld gezeigt hättest, wäre das tatsächlich das Ende meiner Taucherkarriere gewesen. Aber unerschütterlich redest du mir zu: „Relax! Ich weiß, daß du es kannst. Du warst phantastisch im Pool.“ Irgend etwas an seinem hypnotisierenden Blick durch die Taucherbrille ist überzeugend. Natürlich, ich bin phantastisch, ich kann es. Einatmen, ausatmen. Und dann ist mein Verstand wieder da und mein Entschluß: Ich will tauchen lernen. Die Regeln kehren in mein Bewußtsein zurück: „Equalize early and often!“ – Druckausgleich früh und häufig! „Breath nice and slowly!“ – Atme leicht und langsam! Never hold your breath! – Nie den Atem anhalten! Auge in Auge mit Warren lasse ich mich runter, Druckausgleich, einatmen, ausatmen, Druckausgleich. Und dann sind wir unten. Glatter Sandboden, keine Wellen mehr, keine Gischt, kein Wind, nur grüne, tiefe Stille. Eine Himmelsleiter in Form der Ankerleine führt hinauf zum Licht; wir aber bewegen uns jetzt in eine andere Richtung. Das Paradies beginnt.

Bis in die fünfziger Jahre barg der Granit Höhlen für Riesendorsche und andere große Fische, die Korallen waren Kindergarten für tropische Fischschwärme, die mit der Nordströmung hierhergetrieben wurden. Aber nachdem in den Sechzigern Speerfischer das Gebiet entdeckten und Taucher begannen, junge Korallen für die Aquarien in ihren Wohnzimmern zu sammeln, war das Gebiet bald abgeräumt. In den siebziger Jahren zogen lokale Taucher die Notbremse: Sie setzten zunächst einen freiwilligen Fangverzicht der Speerfischer durch und schließlich, im März 1982, die Gründung des Marineparks Julian Rocks. Der Schutz von 80 Hektar rund um die Felsen wird heute von der Fischereibehörde kontrolliert. Nichts darf mehr von hier entfernt werden: es dürfen keine Anker geworfen werden; die örtlichen Tauchschulen leiten die Taucher an, mit ihren Flossen keinen Sand aufzuwirbeln und keine Korallen abzubrechen. Die Zusammenarbeit mit der Behörde klappt gut. „Schließlich“, meint Dive-Masterin Rhonda Key, „bringen wir vielen Menschen eine umweltschonende Art bei, die Schönheit der Unterwasserwelt zu entdecken. Wer einmal hier unten war, wird sich in Zukunft für den Schutz der Meere einsetzen.“

Okay, signalisiere ich meinem Tauchlehrer und folge ihm schwebend in Richtung der Felsen. Er klatscht in die Hände, und „Earlwood“ taucht auf. Earlwood, ein 50 Zentimeter großer Blue Groper, ist das Maskottchen der Taucher von Julian Rocks. Er läßt sich ausgiebig streicheln und frißt aus der Hand. Ein paar Flossenschläge weiter bewegt sich etwas in der Felswand. Drei nackte Köpfe reißen die Mäuler auf: Muränen, die in der Wand leben. Über uns zuckt ein Schwarm gelber Fledermausfische. Wir schweben langsam hindurch, sie ignorieren uns. Auch die Schafskopfschildkröte fürchtet uns nicht. Ihr riesiger Körper paddelt gemächlich an uns vorüber. Die Lieblingsspeise der ortsansässigen Meeresschildkröten, die Qualle, wurde ihnen oft zum Verhängnis, haben sie doch eine fatale Ähnlichkeit mit im Meer treibenden Plastiktüten. Die sind als Nahrung tödlich. Hier aber lebt und gedeiht eine Vielzahl von Schildkröten. Und Seeanemonen. Vielfarbige Finger strecken sich uns entgegen, sie pulsieren und ziehen sich zusammen, wenn wir ihnen zu nahe kommen. Ein greller Kontrast zu den grünweißen Streifen auf dem grellorangefarbenen kleinen Clownfisch. Fasziniert von den Formen sehe ich den Hai erst, als er schon fast vorüber ist. Ein ungefährlicher grauer Krankenschwesternhai, offenbar an anderer Nahrung interessiert als an Tauchern, zieht in 20 Meter Entfernung vorbei. Meine Furcht habe ich längst vergessen, mein Atem geht tief, und immer wieder erinnert mich ein Druck auf den Ohren an den notwendigen Druckausgleich. Kräftige, regelmäßige Schläge mit den Beinen bringen mich zu immer neuen Ausblicken. Eine völlig fremde Welt hat mich in ihren Bann gezogen, eine Kathedrale aus Wasser, mit Fischschwärmen, die das Licht tausendfarbig reflektieren. Der rote Mowong sitzt auf einem ebenso roten Schwamm und betet mit. Blauweiß gestreifte Old Wives zwischen den schwarzen Korallen umflattern meinen Tauchlehrer. Wir sehen einen Schwarm von vielleicht 50 Trompetenfischen, rotorangefarbigen, flaschenförmigen, langen, dünnen Fischen mit trompetenartiger Schnauze. Der Boden, über den ich gleite, bewegt sich und verwandelt sich in einen platten, graumelierten Fisch mit wulstartigen Augen: die perfekte Tarnung des Woobegongs, der ungefährlich ist, aber auch zu den Haien zählt. Ganz und gar nicht ungefährlich, ja sogar extrem giftig ist der Skorpionfisch, ein schwarzweiß gestreifter Einzelgänger, dessen Flossen strahlenförmig in alle Richtungen zeigen. Die Berührung mit ihm kann tödlich enden. Aber er beachtet uns nicht. Eine dichte Schule rotweiß gestreifter Zierfische verändert in einzigartiger Synchronisation gleichzeitig die Richtung. Der einzige Schutz der kleinen, gegen Haie wehrlosen Fische besteht darin, optisch einen großen gemeinsamen Körper zu bilden.

Eine halbe Stunde zeigt die Uhr an, als der Tauchlehrer signalisiert, daß unsere Zeit vorbei ist. Bevor wir die Luft aus der Weste lassen und ganz langsam in Richtung Oberfläche gleiten, kann ich nicht widerstehen und mache noch ein paar mühelose Saltos. Vielleicht, wenn man alles recht bedenkt, so dringt es an mein Bewußtsein, sollten wir so unnütze Angewohnheiten wie Schwerkraft doch langsam ein wenig lockern. Eine Million Jahre Landleben sind mehr als genug.

Tauchen in Byron Bay: Sundive Dive Center, Middleton St., Byron Bay, NSW 2481.

Einzelne Tauchgänge kosten ca. 90 A$, ein Fünf-Tage-Kurs 450 A$.

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