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Die alte Schweiz Mittelamerikas steckt in der Krise

■ Präsidentschaftswahlen in Costa Rica: Das Zwei-Parteien-System hat abgewirtschaftet, aber neue politische Kräfte sind nicht in Sicht. Das Land durchlebt eine wirtschaftliche Rezession

San Salvador (taz) – Die Costaricaner sind verunsichert. Früher waren sie immer stolz darauf, in der „Schweiz Zentralamerikas“ zu leben. Heute ist das von den Nachbarländern oft als Arroganz empfundene Selbstbewußtsein in einer Rezession untergegangen. Die Parlaments- und Präsidentschaftswahl vom morgigen Sonntag verspricht da keine Besserung. Die gut zwei Millionen Wähler können sich entscheiden zwischen der Fortsetzung der Politik der vergangenen vier Jahre und einer voraussichtlich noch härteren neoliberalen Variante.

Das mag der Grund sein, warum rund 45 Prozent der Wähler noch immer unentschlossen sind und zwanzig Prozent überhaupt niemandem ihre Stimme geben wollen. Bislang war eine Wahlbeteiligung von deutlich über 80 Prozent normal. Aber diesmal wollen nicht einmal die Medien den Wahlkampf richtig ernst nehmen.

La Nación, die auflagenstärkste Tageszeitung des Landes, flüchtet sich in ihrer Wahlkampf-Berichterstattung in Satire und Häme. Die beiden Spitzenkandidaten, schreibt ein Leitartikler, hätten „ein Sprung in der Schallplatte“: ständig würden sie ihre leeren Versprechungen wiederholen. Selbst diesem braven Blatt ist aufgefallen, daß sich der politische Diskurs längst von der Wirklichkeit des Landes abgelöst hat.

Die beiden Spitzenkandidaten, das sind José Miguel Corrales und Miguel Angel Rodriguez. Nach alter costaricanischer Tradition wird bei jeder Wahl die jeweilige Regierungspartei von der Opposition abgelöst. Danach müßte diesmal Rodriguez von der konservativen „Partei der Sozialchristlichen Einheit“ (PUSC) der Sieger sein. Tatsächlich führt er alle Umfragen mit mehr als zehn Prozentpunkten Vorsprung an.

Der 58jährige Unternehmer, groß, etwas bullig und graumeliert, ist eine eher zwielichtige Figur. Man sagt ihm gute Kontakte zu mexikanischen Drogendollar-Wäschern nach. Ein paar seiner Firmen konnte er nur durch Offenbarungseide retten. Das macht sein Versprechen, der angeschlagenen Wirtschaft des Landes wieder auf die Beine zu helfen, nicht eben glaubwürdiger.

Sein Gegner Corrales, ebenfalls 58 Jahre alt, hat bei Wirtschaftsthemen noch schlechtere Karten. In die zu Ende gehende Regierungszeit seiner sozialdemokratischen „Partei der Nationalen Befreiung“ (PLN) fällt die tiefste Rezession der vergangenen fünfzig Jahre. 1996 ging das Brutto-Inlandsprodukt um mehr als ein Prozent zurück. Im vergangenen Jahr haben sich die wirtschaftlichen Rahmendaten zwar einigermaßen stabilisiert, aber das Realeinkommen der Bevölkerung sinkt weiter. So hat Corrales seinen Wahlkampf auf einen moralischen Feldzug gegen die Korruption konzentriert – auch das ist ein alter Hut in Costa Rica, der von der jeweiligen Opposition immer wieder gern hervorgezogen wird.

Die PLN hatte das Pech, an der Regierung zu sein, als die allgemeine Globalisierung auch Costa Rica erreichte. Unter dem Druck des Internationalen Währungsfonds mußten Zollschranken gesenkt und Ausgaben eingeschränkt werden. Die Regierung entließ Staatsangestellte und fror Gehälter ein. Die Lehrer reagierten darauf mit mehreren Streiks und Massendemostrationen. Die Costaricaner lernten knüppelnde Polizisten kennen.

Mit Armut und Arbeitslosigkeit nahm auch die Kriminalität zu. In San José häufen sich die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Jugendbanden. Trotzdem geht es Costa Rica noch immer deutlich besser als etwa Nicaragua oder El Salvador. Der Anteil der Arbeitslosen und Unterbeschäftigten ist mit gut zwanzig Prozent vergleichsweise niedrig. Aber die Costaricaner fühlen sich doch auf dem Weg zu zentralamerikanischen Verhältnissen.

Die Linke hat davon bislang nicht profitiert. Sie hat in Costa Rica noch nie eine Rolle gespielt. Rodrigo Gutierrez, Präsidentschaftskandidat der „Neuen Demokratischen Partei“ (NPD) entschuldigt das so: „In Costa Rica braucht man drei Dinge, um in der Politik mitzumischen: Geld, Geld, Geld.“ Tatsächlich aber hackt der aussichtslose Kandidat mit Inbrunst auf zwei andere kleine Linksparteien ein – alle drei sektiererische Salon-Revolutionäre, die zusammen vielleicht fünf Prozent schaffen könnten.

Die jetzige Krise hat die mittelständische Linke genauso unvorbereitet erwischt wie PLN und PUSC. Sie hatte mit dem Aufkeimen sozialer Proteste nichts zu tun. So hat zwar das traditionelle Zwei- Parteien-System des Landes abgewirtschaftet. Eine Alternative aber ist noch nicht in Sicht. Toni Keppeler

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