: Während UNO-Chef Kofi Annan noch politische Lösungen sieht, sind die USA offenbar fest entschlossen, Irak mit einem Militärschlag zur Räson zu bringen. Der Widerstand der Europäer bröckelt schon: Aus Paris hieß es, da seien "alle Optionen o
Während UNO-Chef Kofi Annan noch politische Lösungen sieht, sind die USA offenbar fest entschlossen, Irak mit einem Militärschlag zur Räson zu bringen. Der Widerstand der Europäer bröckelt schon: Aus Paris hieß es, da seien „alle Optionen offen“.
Anything goes
„Ein Einlenken Iraks ist nicht ausgeschlossen. Schon in der Vergangenheit ist Bagdad bis zum Äußersten gegangen und hat dann doch noch nachgegeben.“ Am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos versuchte UNO-Generalsekretär Kofi Annan gestern noch einmal Hoffnung auf eine politische Lösung zu verbreiten. Wenn Bagdad bei der Zerstörung seiner Massenvernichtungswaffen voll mit der UNO zusammenarbeite, werde niemand von der Möglichkeit eines Militärschlages sprechen, erklärte Annan.
Ob der UNO-Generalsekretär selber noch an eine politische Lösung glaubt? Seine Berater jedenfalls halten eine Eskalation am Golf inzwischen durchaus für wahrscheinlicher als noch während der letzten Streitrunde um die Zugangsmöglichkeiten der Unscom- Inspektoren und den Anteil US- amerikanischer Experten an den Unscom-Teams im Oktober/November letzten Jahres.
Für diese Einschätzung gibt es mehrere Gründe: Frankreichs Außenminister Hubert Vedrine und seine US-Amtskollegin Madeleine Albright erklärten am Donnerstag abend nach einem Treffen in Paris übereinstimmend, mit Blick auf Irak seien „noch alle Optionen offen“. In der Umgebung Kofi Annans wird dies als Aufweichung des französischen Widerstandes gegen militärische Maßnahmen verstanden. Auf die Vermittlungsmission Rußlands wird im UNO- Hauptquartier wenig Hoffnung gesetzt, nachdem sich die hochgelobten Bemühungen Außenminister Primakows von Anfang November im Ergebnis längst als völlig substanzlos erwiesen haben.
In der Krise des letzten Herbstes wurde häufig argumentiert, Washington sei nicht an militärischen Maßnahmen gegen Bagdad interessiert, um den Nahost-Friedensprozeß nicht zu erschweren. Nach dem völligen Fehlschlag der US-Vermittlung zwischen Israels Premier Netanjahu und PLO-Chef Arafat wird diesem Argument bei der UNO inzwischen weniger Gewicht beigemessen. Es ist sogar die Einschätzung zu hören, Washington könne vielleicht gerade mit militärischen Maßnahmen gegen Israels Erzfeind Irak versuchen wollen, Netanjahus Kompromißbereitschaft gegenüber Arafat zu erhöhen.
Gewisse Sorge bereitet auch die innenpolitische Situation in den USA. Es wird in der Umgebung Kofi Annans nicht ausgeschlossen, Clinton könne sich zu einem Militärschlag gegen Irak entschließen, um von den keineswegs ausgestandenen Affären abzulenken.
Die vorsichtig optimistischen Äußerungen des UNO-Generalsekretärs in Davos erinnern an die ersten Januartage des Jahres 1991. Damals, wenige Tage vor Beginn des Krieges gegen Irak, verbreitete Annans Vorvorgänger Perez de Cuellar, der seinerzeit noch als Vermittler zwischen New York und Bagdad pendelte, ähnliche Hoffnungen. Und dies, obwohl spätestens seit November 1990 alle Weichen für ein militärisches Vorgehen gegen Irak gestellt waren; die USA hatten eine Streitmacht am Golf stationiert, die das derzeitge Aufgebot von 24.400 Soldaten, 14 Kriegsschiffen und 325 Kampfflugzeugen bei weitem übertraf. Und mit der von Washington durchgesetzten Resolution 678 vom 29.11.90 hatte der Sicherheitsrat Bagdad ein Ultimatum zum Abzug der Besatzungstruppen aus Kuwait bis zum 15. Januar 91 gesetzt. Zugleich wurden die UNO-Mitglieder in der Resolution ermächtigt, nach diesem Datum „alle erforderlichen Mittel“ zu ihrer Erfüllung einzusetzen.
Damit war nach herrschender völkerrechtlicher Lehre die notwendige Voraussetzung für ein militärisches Vorgehen gegen Irak geschaffen – auch wenn der dann folgende Golfkrieg kein „Krieg der UNO“ war, wie seitdem immer wieder fälschlich behauptet wird.
Daß Washington sich in der aktuellen Krise nicht einmal um die Herstellung dieser formalen völkerrechtlichen Voraussetzung für militärische Erzwingungsmaßnahmen gegen Irak bemüht, sondern offen mit unilateralen Schlägen droht, zeigt erneut, wie sehr die UNO durch den Golfkrieg und seitdem geschwächt wurde.
Ausdruck dieser Schwäche ist auch, daß der UNO-Generalsekretär zu diesen äußerst relevanten Fragen von Völkerrecht und UNO-Charta schweigt. Auch seine Berater bestätigen nur inoffiziell, was der Völkerrechtler Jochen Frowein, Direktor des Max- Planck-Instituts, gestern in einem Interview erklärte: Die Waffenstillstandsresolution 687 des UNO- Sicherheitsrates vom 1.März 1991, die Bagdad zur Vernichtung aller Massenvernichtungsmittel und Einstellung entsprechender Rüstungsprogramme verpflichtet, enthalte keine Ermächtigung für militärische Erzwingungsmaßnahmen gegen Irak. Dazu wäre ein neuer Beschluß des Sicherheitsrates notwendig. Ohne einen derartigen Beschluß wären militärische Maßnahmen – egal ob allein von der USA oder von einer Allianz von Staaten ausgeführt – „völkerrechtswidrig“, betonte Frowein. Iraks Verstoß gegen das Verbot bestimmter Waffentypen allein reiche für einen Beschluß von Erzwingungsmaßnahmen nicht aus, erklärte der Völkerrechtler unter Verweis auf Kapitel 7 der UNO- Charta. Voraussetzung sei eine irakische Angriffshandlung mit diesen Waffen gegen einen anderen Staat oder „zumindest der begründete Verdacht“, daß Bagdad einen solchen Angriff vorbereitet. Andreas Zumach, Genf
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