: Den Herrschenden ein Dorn im Auge
■ Gerüchte über eine Verstrickung des Geheimdienstes in den Terror gab es schon gleich nach dem Mord an Präsident Boudiaf im Juni 1992
Seit am 29. Juni 1992 Präsident Muhammad Boudiaf während einer Ansprache in Anaba von einem Soldaten erschossen wurde, reißen die Gerüchte über eine Verstrickung des Geheimdienstes in den Terror in Algerien nicht mehr ab. Viele wollen nicht an die islamistische Verschwörung innerhalb der Armee glauben, deren Opfer Boudiaf sein soll. Für sie war der Veteran des Unabhängigkeitskrieges – der nach dem Verbot der siegreichen Islamischen Heilsfront (FIS) Anfang 1992 von der Armee aus dem marokkanischen Exil geholt worden war – den Generälen lästig geworden, als er begann, gegen die Korruption anzugehen.
Bei der darauffolgenden Mordwelle gegen Intellektuelle und Journalisten wurden wieder Zweifel über die Urheber laut: „Es gibt Journalisten, die den Herrschenden ein Dorn im Auge sind. Ich wäre nicht überrascht, wenn sich eines Tages herausstellen sollte, daß bestimmte Kollegen von Männern der Macht ermordet worden sind“, sagte Omar Belhouchet, Herausgeber der Tageszeitung El Watan, im französischen Fernsehen. Dafür kassierte er ein Jahr Haft.
Jetzt, wo Deserteure in London und Paris bereitwillig die These der Unterwanderung der Bewaffneten Islamischen Gruppen (GIA) durch die Geheimdienste bestätigen, verstummen plötzlich die unbequemen Fragen der algerischen Presse an die Generäle. Keine Zeitung will soweit gehen, an eine Mitschuld des Regimes an zumindest einem Teil der Massaker an Zivilisten zu glauben. Eine unabhängige Untersuchung der Überfälle, wie sie die Front der Sozialistischen Kräfte (FFS), die trotzkistische Arbeiterpartei (PT) und die Algerische Liga für Menschenrechte (LADH) fordern, ist für die Leitartikler „eine perverse Forderung“. „Wir Algerier wissen, wer wen tötet“, sagt auch der algerische Botschafter in Bonn, Muhammad Haneche. Für ihn sind die Deserteure „alles Terroristen der FIS“.
Einer der ranghöchsten Überläufer, Muhammad Labri Zitout, der in Großbritannien Asyl genießt, will das nicht auf sich sitzen lassen: „Ich war ebenfalls Diplomat. Wenn ich ein Terrorist bin, was sind dann diejenigen, die mit der Waffe in der Hand töten?“ Zitout verließ Algerien im Jahre 1995, als viele glaubten, das Regime werde den Islamisten nicht standhalten.
„Ich mache das alles für mein Land.“ So begründen die Londoner Deserteure die Interviews und ihren Auftritt vor dem Menschenrechtsausschuß des britischen Unterhauses Mitte Januar. Die graue Eminenz unter den Überläufern, der ehemalige algerische Premierminister Abdul Hamid Brahimi, bereitet sich schon auf ein Comeback in einem Algerien ohne Generäle vor. Er studiert in London „Islamische Wirtschaftswissenschaften“. Manch anderer scheint den Glauben an die Zukunft verloren zu haben. So ein hoher algerischer Offizier in Paris. Er gab dem Spiegel und der ARD die Interviews nicht aus Vaterlandsliebe, sondern gegen harte Francs.
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