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Verbiegen, tricksen und täuschen

■ Der SPD steht mit ihrer Taktiererei beim Großen Lauschangriff eine ähnliche Blamage bevor wie schon zuvor beim Asylkompromiß

Wer gedacht hat, die Verhandlungen über die Steuerreform und das Staatsangehörigkeitsrecht hätten politische Taktiererei in ihrer höchsten Blüte offenbart, sieht sich nun getäuscht. Die hohe Schule des Verbiegens, Tricksens, Täuschens zeigt sich erst beim Großen Lauschangriff. Vor allem die Sozialdemokraten könnten daraus mit Beulen hervorgehen.

Der SPD steht mit dem Großen Lauschangriff eine ähnliche Blamage bevor wie beim Asylkompromiß. 1993 hatte die SPD unter großen Bauchschmerzen der Abschaffung des vom Grundgesetz garantierten Anspruchs auf Asyl zugestimmt. In einem Einwanderungsgesetz sollten negative Auswüchse der Grundgesetzänderung abgemildert werden. Das Gesetz gibt es bis heute nicht.

In dieser Woche sieht es so aus, als werde die SPD der Grundgesetzänderung zum Großen Lauschangriff im Bundesrat zustimmen. Kritikern in den eigenen Reihen, wie Bremens Bürgermeister Henning Scherf, soll die Zustimmung zur Grundgesetzänderung mit dem Versprechen abgerungen werden, daß in einem Vermittlungsausschuß um Nachbesserungen beim Ausführungsgesetz gestritten wird.

Doch dabei handelt es sich wohl um Augenwischerei. Zwar könnten SPD und Grüne mit ihrer Mehrheit im Vermittlungsausschuß Änderungen in der Strafprozeßordnung beschließen. Wenn es anschließend dann wieder zur Abstimmung im Bundestag kommt, könnte die Koalition mit der Kanzlermehrheit das Ergebnis zunichte machen. Alles bliebe, wie es ist.

Theoretisch könnte die SPD darauf hoffen, daß einige FDP- Abgeordnete im Bundestag für Nachbesserungen stimmen. Immerhin hatten zehn Abgeordnete der FDP im Bundestag gegen den Kompromiß gestimmt. Doch daran glaubt selbst SPD-Fraktionschef Scharping nicht. „Die Erfahrung hat gezeigt, daß die FDP im Bundestag nicht gegen die Union stimmen wird.“

Damit hat er wohl recht. Der innenpolitische Sprecher der FDP, Max Stadler: „Im Bundestag wird die Koalition als Einheit auftreten.“ Stadler dient dafür selbst als Beispiel. Im Bundestag hatte er gegen den Kompromiß zum Lauschangriff gestimmt, weil er Journalisten, Ärzte und Rechtsanwälte von der Überwachung ausgenommen haben will. Bei einer erneuten Abstimmung würde er aus Koalitionsräson mit der Union stimmen.

Auch die Bündnisgrünen spielen eine wichtige Rolle bei der Taktiererei. Ihre Regierungsbeteiligung in fünf Ländern ermöglicht ihnen, ein Vermittlungsverfahren zu blockieren. Ohne Vermittlungsverfahren aber wäre Bremens Bürgermeister möglicherweise nicht bereit, der Grundgesetzänderung zuzustimmen. Die erforderliche Mehrheit käme nicht zustande. Die Grünen könnten also unter Umständen den Großen Lauschangriff komplett verhindern, was ihrem Interesse entspräche.

Dennoch hat Fraktionssprecherin Kerstin Müller erklärt, die Grünen würden einem Vermittlungsverfahren nicht im Wege stehen. Dahinter steckt die Einschätzung, daß Bremens Landeschef die Grundgesetzänderung nicht im Alleingang platzen läßt. Ein Vermittlungsverfahren sei daher immer noch besser als nichts.

Ein Unsicherheitsfaktor ist Niedersachsen. Ministerpräsident Schröder (SPD) hält einen Vermittlungsausschuß für unnötig. Sollte sich Niedersachsen der Stimme enthalten, würde wohl ebenfalls keine Mehrheit für einen Vermittlungsausschuß zustande kommen. Doch angeblich hat Schröder bereits eingelenkt. Schließlich, so heißt es, komme es ihm hauptsächlich auf die Grundgesetzänderung an. Andere sagen, Schröder werde kurz vor der Niedersachsen-Wahl erneut von Lafontaine vorgeführt. Hat das Gerangel um den Lauschangriff also nur den Zweck, Lafontaine im Kampf um die Kanzlerkandidatur zu stärken? Tata Tata. Karneval steht vor der Tür. Und auch der Große Lauschangriff kommt bestimmt. Markus Franz, Bonn

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