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Die Schlacht der Medien

Das schnellere Medium setzte das langsamere unter Druck. Ein erster medienkritischer Rückblick auf Zippergate  ■ Von Niels Werber

Die Meinungsumfragen stimmen wieder. Handfeste Beweise für einen möglichen Meineid des US-Präsidenten sind einstweilen nicht aufgetaucht. Der Skandal ebbt ab und wird zur Geschichte. Die Presse veröffentlicht schon Chroniken der Affäre. Und fragt nach den Drahtziehern in den Medien.

Doch die Rückblicke und Kommentare sind voller Fehler: Falsch ist zum Beispiel, daß Newsweek oder die Washington Post Zippergate entfacht hätten. Die Geschichte des Falls Lewinsky beginnt bestimmt auch nicht am Mittwoch, den 21. Januar, wie die Süddeutsche Zeitung jetzt schreibt. Dabei ist das Datum nicht Nebensache, denn eine genaue Chronologie lenkt den Blick auf ein bislang vernachlässigtes Phänomen: auf die Rolle des Internets als Katalysator des Skandals.

Daß Monica Lewinsky zu den Frauen gehören soll, die mit Clinton eine sexuelle Affäre unterhielten, wußte Michael Isikoff von Newsweek seit einem Jahr. Die Wochenzeitschrift verfügte damit exklusiv über Informationen, auf die sich die Anwälte von Paula Jones und der Sonderermittler Kenneth Starr gierig stürzen würden. Schon am Samstag, den 17. Januar, als noch niemand in Washington vom Oral Office sprach, verfügte Newsweek über jene von Linda Tripp mitgeschnittenen Tapes, auf denen Monica Lewinsky von der Empfehlung des Präsidenten berichtet, für den Fall einer Vorladung alles abzustreiten.

In der US-Presse fragte man sich im nachhinein, warum Newsweek es verpaßte, die Geschichte zu drucken, die die Nation erregte. In der Ausgabe vom 19.1. fand sich nichts. Bis dahin war Lewinskys Name in den Medien noch nicht gefallen, so daß die Herausgeber glauben konnten, noch über genügend Zeit zu verfügen, um unabhängige Quellen zu erschließen.

Im Internet fand der Skandal sein Medium

Daß diese renommierte wie seriöse politische Zeitschrift nicht bereit ist, auf ein Gespräch unter Frauen allein eine massive Beschuldigung gegen den Präsidenten zu stützen, kostet Newsweek den Aufmacher des Jahres.

Während Isikoff, sauer über die Newsweek-Spitze, die seinen Text in letzter Minute aus dem Blatt genommen hat, weiteren Spuren nachgeht, sickern Informationen über seine Story aus der Redaktion heraus. Die Skandalgeschichte wird nun aber nicht von einem Magazin der Konkurrenz großgezogen und publiziert – auf Gerüchte allein mag wohl kein ernsthaftes Presseorgan eine Kampagne gegen Clinton bauen.

Im Internet dagegen riskiert man dergleichen nicht. Newsweek lamentiert: „Am Montag morgen tauchte Lewinskys Name im Drudge Report auf, einer vielgelesenen, aber nicht sehr vertrauenswürdigen Klatschkolumne im Internet.“ Hier, im Internet, findet der Skandal das ihm gemäße Medium. Hörensagen mag den Newsweek-Herausgebern nicht genügen, im Internet dagegen gibt es keine Autorität, die aus politischen oder journalistischen Gründen die Zirkulation solcher Gerüchte unterbinden würde. Völlig unbekümmert um die Beweislage werden die pikanten Geheimnisse der Monica L. verbreitet. In den Foren des Usenet werden am selben Montag Zehntausende auf den Drudge Report aufmerksam gemacht. Hier liest man es zuerst, very hush, hush.

Im Internet grassiert das Gerücht der verhängnisvollen Affäre mit dem Tempo der Lichtgeschwindigkeit und der Unwiderstehlichkeit eines Virus. Kein Editorial Board vermag das zu steuern. Die Rücksichtslosigkeit und Geschwindigkeit des Internets setzt das langsame Printmedium Newsweek unter Druck.

Die Gerüchte kursieren, und die Story könnte bis zum nächsten Montag verloren werden. Die Herausgeber entschließen sich daher, trotz noch laufender Recherchen alles, was Isikoff bisher ausgegraben hat, auf der Website der Zeitschrift zu publizieren. Die Washington Post druckt es am Mittwoch (21.1.) ab. Erst am Tag, als der Skandal aufs Papier findet, beginnen etwa FAZ und SZ ihre Skandalchronik.

Die Affäre verläuft anders im Cyberspace

Auf die Frage der Washington Post, wie Newsweek derart die Vorteile eines Exklusivberichts verspielen konnte, gibt es eine Antwort: Das Internet ist schneller und hemmungsloser. Im Cyberspace nimmt die Affäre einen anderen Verlauf als in den Massenmedien. Internet-User jeder Couleur greifen in Tausenden von Webseiten den Skandal auf und tragen die Gerüchte weiter. Auf zahlreichen Servern findet man alles über Zippergate: Hunderte von Witzen, Dutzende von Verschwörungstheorien.

Man liest dort vom Attorney Generals Coup d'Etat, der im Auftrag der Republikaner den Präsidenten demontieren solle; von einer demokratischen Verschwörung, die Clinton abservieren und seine betrogene Frau auf das Schild für die nächste Wahl heben will; von einer Intrige des Geheimdienstes Mossad, der Clinton beschäftigen wolle, um den Druck auf Israel zu mildern. Eine schöne These ist die, daß Clintons eigene Berater den Skandal so erfunden haben, daß an seinem Ende sich Clintons strahlende Unschuld erweisen muß, um damit den lästigen Ermittler Starr zu beschädigen. Absurder noch: Anhänger der sexuellen Befreiung hätten Zippergate auf den Weg gebracht, um die Legalisierung der in manchen Bundesstaaten verbotenen Praktik des Oralsex voranzutreiben.

Niemand zeichnet verantwortlich für diese Theorien oder Verleumdungen, alle erscheinen mit der Bitte, eigene Vermutungen oder Kommentare hinzuzufügen. Auf zahlreichen Homepages kann der interessierte Surfer an Meinungsumfragen zum Fall teilnehmen. Diesen zufolge hält die Mehrheit der User den Präsidenten für schuldig, doch solle auf die Amtsenthebung verzichtet werden. Sollte diese Art der Meinungsbildung im Internet Einfluß auf den weiteren Verlauf der Geschichte haben – und dies ist nicht unwahrscheinlich, da sich die Dramaturgie des Sonderermittlers wie der Clinton-Berater an den Umfrageergebnissen orientiert –, dann verfügte erstmals jeder User, ob er nun Bürger der USA sei oder nicht, über Einfluß auf die innenpolitische Situation der USA.

Das Internet ist ein Medium der Massen, aber kein Massenmedium. Seine Anhänger haben immer wieder den Gegensatz zur hierarchischen, monopolistischen und kapitalistischen Struktur der traditionellen Medien betont. Freie Meinungsäußerung jenseits staatlicher Zensur und ohne verzerrende Profitinteressen sei nur noch hier zu Hause.

Die Eskalation der Lewinsky- Story im Netz zum Zippergate macht dagegen auf die Qualitäten der alten Nachrichtenmedien aufmerksam. Gerade ihre Langsamkeit ermöglicht gründliche Recherchen, ihre hierarchische Organisationsstruktur erlaubt Entscheidungen gegen die vorschnelle Publikation von Gerüchten, ihre Abhängigkeit von rechtlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen erzwingt die Einhaltung qualitativer Standards.

Freilich: Nicht jeder kann in Newsweek publizieren, und schon gar nicht alles, was er will. Das Internet dagegen bietet jeder Meinung und Behauptung unterschiedslos eine Plattform. Doch wer diese Freiheit umstandslos feiert, unterschlägt die Verantwortungslosigkeit, die das frei flottierende Gerücht zu einem der beliebtesten aller unbegrenzten Möglichkeiten macht.

Die journalistischen Schwellen sind bedroht

An der Affäre wird auch offenbar, wie nun das „schnelle“ Prinzip des Internets in die „verantwortungsvollen“ traditionellen, die „langsamen“ Medien einsickert. Wenn einem aus redaktionellen Überlegungen vertrösteten Informanten oder Rechercheur (wie Isikoff) jederzeit die Möglichkeit offensteht, seine Story durch das Konkurrenzmedium Internet in die Welt zu bringen, dann dürften auch die Schwellen in den traditionellen Medien sinken. Schließlich würde sich Newsweek den Scoop wohl kaum ein zweites Mal durch die Lappen gehen lassen.

Das Netz hat die „langsamen“ Medien unter Druck gesetzt, und es hat gewonnen. Seine Anonymität macht es sensationsgeiler und gefährlicher, als die Yellow Press je werden konnte. Dies hat seinen Reiz, aber auch seinen Preis.

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