: Renaissance der Kupfertelefonkabel
■ Eine neue Datenübertragungstechnik ist schneller als ISDN, braucht aber nur Kupferkabel. Billige Alternative zur Glasfaser
Münster (taz) – Auf den ersten Blick arbeitet Sven so gewöhnlich wie alle 50.000 StudentInnen in Münster: am Computer. Auf den zweiten ist Svens kleine Bude in einem Studentenwohnheim aber Schauplatz eines in Deutschland einzigartigen Pilotprojekts. Computer und Modem auf Svens Schreibtisch bergen eine revolutionäre Kommunikationstechnik. ADSL (asymmetric digital subscriber line) heißt die Neuheit. Sie übertragt Daten 300mal schneller als heutige analoge Modems und mehr als sechzigmal schneller als bisherige ISDN-Glasfaserverbindungen – und das auf einem altmodischen Kupferkabel.
An etwa hundert Studentencomputern in Münster testet Siemens in Zusammenarbeit mit der Deutschen Telekom und dem Universitätsrechenzentrum derzeit die neue Technik. Trotz der offensichtlichen Vorteile von ADSL ist es für Siemens und die Telekom eine zweischneidige Sache: Die Telekom hat kaum jahrelang in ein dichtes Glasfaserkabelnetz investiert, um jetzt eine Technologie bis zur Serienreife zu fördern, die die eigenen Leitungen in großen Teilen überflüssig machen könnte. Und auch Siemens steckt dick im Glasfaser/ISDN-Geschäft.
Doch ADSL ist kaum noch aufzuhalten: Die US-West Communications Group – eine lokale Telefongesellschaft in Denver – will bereits im Juni in 40 Städten die neue Technik anbieten. Und vergangene Woche einigten sich mehrere Branchenführer auf die Entwicklung eines gemeinsamen Standards für ADSL, darunter Microsoft, Chiphersteller Intel, der Modembauer Rockwell, Compaq, die Telekommunikationsfirma Sprint und alle regionalen US-Telefongesellschaften. Bis Ende des Jahres soll er stehen. Die Gruppe favorisiert eine etwas langsamere, aber nutzerfreundlichere ADSL-Variante, die dann wie ein Modem einfach an jede Telefondose angeschlossen werden könnte.
Durch ADSL können Daten mit einer Geschwindigkeit von bis zu 8 Mbit/s zum Endnutzer und mit 640 Kbit/s in umgekehrter Richtung übertragen werden. Das ist um ein Vielfaches schneller als ISDN, die bisher leistungsstärkste Übertragungsmöglichkeit. In der Praxis heißt das: 100 Textseiten, für die ein heutiges Standardmodem 120 Sekunden und ISDN 25 Sekunden braucht, können mit ADSL in knapp 0,4 Sekunden übertragen werden. Bedeutung erhält diese Geschwindigkeit vor allem bei der Übertragung von laufenden Bildern: So soll denn auch im Sommersemester die Übertragung von vorher aufgezeichneten Vorlesungen in das Wohnheim getestet werden, so daß Sven seine Profs dann „on demand“ am Schreibtisch abrufen kann.
Siemens testet in Münster erst mal die Akzeptanz der neuen Technik: „Für uns ist enorm wichtig zu erfahren, was Leute nach neun Monaten Feldversuch bereit sind, dafür auszugeben“, erklärt Siemens-Pressesprecher Reiner Schmoll. Getestet wird ADSL derzeit auch in Zusammenarbeit mit Firmen, für welche die Anschaffung der noch teuren Technik wohl eher in Frage kommt als für Privatkunden. Die US-West Communications will privaten Kunden schon gut 70 Mark monatlich für einen ADSL-Internet-Anschluß berechnen.
Da für die Datenübertragung ein gesondertes Frequenzband eingerichtet wird, kann außerdem nun auch auf Kupferkabel parallel telefoniert werden, ohne zweiten Anschluß. „Jetzt hab' ich den Druck aus der WG nicht mehr, wenn ich stundenlang im Netz bin“, sagt Sven. Der Student ist begeistert: „Natürlich setzen wir alles daran, daß das Projekt auch nach Ablauf der Testphase stehenbleibt.“ Kristine Schmidt/urb
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