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Frühling im Winter

■ Die Kunst des Verzichts: 100 Jahre Berliner Secession, eine Ausstellung im Ephraim-Palais

Der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte, war ein Bild, und es trug nicht nur einen harmlosen Titel, es sah auch denkbar unverfänglich aus. Als die Jury der Großen Berliner Kunstausstellung im Jahr 1898 das Gemälde „Grunewaldsee“ des Malers Walter Leistikow ablehnte, ahnten deren Mitglieder nicht, was sie damit auslösen sollten. Seit langem herrschte Unzufriedenheit mit der Kunstpolitik des ebenso altehrwürdigen wie mächtigen Vereins Berliner Künstler, nun gab es Gelegenheit, der Mißstimmung Taten folgen zu lassen. Zahlreiche Maler und Bildhauer, darunter Max Liebermann, Hans Baluschek, Curt Herrmann und Dora Hitz, kehrten dem Verein den Rücken und gründeten die Berliner Secession. Ein Jahr darauf wurde auch Käthe Kollwitz aufgenommen.

Das hundertjährige Jubiläum dieser Künstlervereinigung nimmt jetzt die Stiftung Stadtmuseum zum Anlaß für eine Ausstellung, die deren Geschichte nacherzählen soll. Ihr Titel – „Berliner Kunstfrühling“ – ist im übrigen keine Wunschvorstellung wintergeplagter Ausstellungsmacher, sondern der Titel eines kleinen Büchleins, in dem der sympathisierende Kunstkritiker Franz Servaes 1893 einige seiner Aufsätze veröffentlicht hatte. Rund 200 Gemälde, Graphiken und Zeichnungen sowie einige wenige Skulpturen haben die Mitarbeiter der Stiftung zusammengetragen, die meisten davon stammen aus eigenen Beständen. Beim Leihverkehr war man dagegen nicht so erfolgreich. So fehlt im Ephraim-Palais Leistikows ausschlaggebendes Werk „Grunewaldsee“, dabei hätte das Bild nicht weit transportiert werden müssen. Es befindet sich im Besitz der Nationalgalerie.

Die Berliner Secession war beileibe nicht die einzige, die seinerzeit ins Leben gerufen wurde. Im Gegenteil: Überall im deutschsprachigen Raum hatten sich in den beiden letzten Dekaden des vorigen Jahrhunderts Künstlergruppen gebildet, die sich nicht mehr mit dem vorherrschenden Akademismus identifizieren wollten, so in München, Düsseldorf, Wien, Karlsruhe, Weimar und Dresden. Und doch sollte die Berliner Secession bald die bedeutendste werden. Aus München stießen Lovis Corinth und Wilhelm Leibl dazu, Arnold Böcklin stellte in Berlin ebenso aus wie die französischen Impressionisten Claude Monet, Camille Pissarro und Auguste Renoir, die Schweizer Ferdinand Hodler und Giovanni Segantini oder der in London ansässige Amerikaner James Whistler. Auf Werke dieser Künstler hat das Stadtmuseum allerdings verzichten müssen.

Doch auch in ihrer Beschränkung (große Ausnahme: der Norweger Edvard Munch) sind die heftigen Auseinandersetzungen, die damals die Kunstwelt beschäftigten, heute kaum noch nachvollziehbar. Längst zählt der als undeutsch geschmähte Impressionismus zu den allgemein anerkannten Höhepunkten der jüngeren Kunstgeschichte, trifft den Massengeschmack wie keine andere künstlerische Stilrichtung. Es ist nicht der geringste Verdienst dieser Schau, daß sie noch einmal ins Gedächtnis ruft, daß dies nicht immer so war.

Bedauerlich nur, daß versäumt wurde, Beispiele der nicht zuletzt vom Kaiser unterstützten akademischen Kunst wirkungsvoll in Szene zu setzen. Wie überhaupt die Ausstellung einige erhebliche Schwächen hat. Denn die Secession mit Max Liebermann an der Spitze war schon kurze Zeit nach ihrer Gründung keine wirkliche Opposition mehr. Vielmehr schottete sie sich gegen neue Kunstströmungen wie den Expressionismus von Pechstein oder Kirchner so nachhaltig ab, wie es ihr zehn Jahre zuvor selbst ergangen war. Das jedoch erfährt nur, wer die Zeittafeln in der Ausstellung liest – durch die Präsentation, die die Brüche in der Entwicklung der Berliner Kunst durch Gegenüberstellungen pointiert hätte zeigen können, ist dies nicht zu erfahren. Schade eigentlich. Ulrich Clewing

Ephraim-Palais, bis 22. März, tägl. außer montags 10 bis 18 Uhr

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