: Drogenszene in Aufruhr
■ Mit Verweis auf die neuen Betäubungsmittelvorschriften stellen Ärzte keine Privatrezepte mehr für Codein aus. Drogenabhängige, die sich mit dem Ersatzstoff substituierten, könnten dadurch in die Kriminalität getrieb
Die neuen betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften versetzen die Drogenabhängigen der Stadt in Panik. Hilfesuchende Junkies rennen den Drogenberatungsstellen die Türen ein. Wer Stoff hat, bunkert auf Vorrat. „In der Szene brodelt es“, berichtet eine mit Substitution befaßte Ärztin. Der Grund: Seit die Betäubungsmittelrechts- Änderungsverordnung am 1. Februar in Kraft getreten ist, ist die Vergabe von Codein, nach Methadon der zweitwichtigste Heroin- Ersatzstoff, streng reglementiert.
Bisher konnten Ärzte das in Hustensaft enthaltene Codein frei verschreiben. Nun gibt es den Ersatzstoff nur auf Vorlage von speziellen Betäubungsmittelrezepten, die von der Bundesopiumstelle kontrolliert werden. Für zahllose bislang anonym gebliebene Opiatabhängige bedeutet dies: Ein Rezept gibt es nur, wenn man sich als langjähriger Süchtiger outet.
Nach Angaben von Drogenberatern nimmt ein Drittel der geschätzten 8.000 bis 10.000 Berliner Drogenabhängigen mehrmals täglich Codein. Der bislang frei zugängliche Ersatzstoff hat es den Süchtigen ermöglicht, ein unauffälliges Leben zu führen und ganz normal arbeiten zu gehen. Ärzte, Lehrer, Journalisten und Bankdirektoren gehören genauso zu den regelmäßigen Codeinkonsumenten, wie von Sozialunterstützung lebende Junkies, die sich mit dem Hustensaft über die Zeiten ohne Heroin hinwegretteten, ohne kriminell zu werden.
Gutsituierte Abhängige würden auch jetzt Wege zur Befriedigung ihrer Sucht finden, ist der Vorsitzende des Fachverbandes Substitutionsbetreuung, Martin Buchweiz-Sautier, überzeugt. Bei den einfachen Junkies hingegen „wird die Verelendung und Kriminalität zunehmen“, befürchtet er. „Der ständige Versorgungsdruck wurde bislang durch das Codein abgefedert.“ Buchweiz rechnet schon bald mit erheblichen Drogenengpässen auf der Szene. Aus Gesprächen mit Abhängigen und Drogenberatern weiß er, daß sich die Ärzte mit Verweis auf die neuen Vorschriften seit dem 1. Februar strikt weigern, noch Privatrezepte für Codein auszustellen. Allen voran die „schwarzen Schafe“ in der Ärtzeschaft, die sich mit den Codein-Rezepten eine goldene Nase an den Abhängigen verdienten. „Die haben jetzt berechtigte Angst.“
Genau diese Ärzte sollte die neue Verordnung nach Angaben der Landesdrogenbeauftragten Elfriede Koller auch treffen: „Die graue Substition muß eingeschränkt werden.“ Die Auffassung, daß die mittellosen Junkies dabei auf der Strecke bleiben, teilt Koller nicht. Sie hofft, daß ein Großteil der Abhängigen, die sich bislang mit Codein über Wasser gehalten haben, in eine geregelte Methadon-Substitution überführt werden kann, nachdem die Vergabe von Methadon am 1. Febuar erleichert worden ist. Bislang werden in Berlin rund 2.200 Menschen mit Methadon sustituiert. Nach Einschätzung von Ärzten wird es aufgrund fehlender Richtlinien aber noch mindestens bis zum Sommer dauern, bis die Codein- Substituierten in die Methadon- Substitution überführt werden können. „Bis dahin müssen individuelle Lösungen gefunden werden“, sagt die stellvertretende Leiterin der Clearingstelle für Substitution bei der Ärztekammer, Doris Höpner. Ärzte und Drogenberater könnten bei der Clearingstelle Rat suchen. Plutonia Plarre
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