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Die Vermarktung einer Tragödie

Ein Flugzeugabsturz machte Manchester United zum florierendsten Fußballunternehmen der Welt. Heute vor 40 Jahren starben in München acht Spieler  ■ Von Dietrich Schulze-Marmeling

Manchester United, mit vier Meistertiteln seit 1993 fast schon ein Abonnementsmeister, gilt als weltweit reichster und populärster Fußballklub. Die historische Basis hierfür bildet eine Mischung aus Triumph und Tragödie.

1956 werden die „Busby Babes“, wie das junge Team nach seinem Lehrmeister genannt wird, dem schottischen Manager Matt Busby, überraschend Landesmeister – mit einem Durchschnittsalter von nur 21 Jahren der jüngste englische Champion aller Zeiten. Das Team praktiziert einen riskanten, aber begeisternden Offensivfußball. „Winning isn't everything“, lautet Busbys Credo, die Leute im Stadion sollen auch unterhalten werden. 1957 gelingt die Titelverteidigung, und auch in der folgenden Saison befindet sich das Team auf Meisterschaftskurs. Aber des Managers Hauptaugenmerk gilt Europa. Sehr zum Unwillen der bornierten Ligafunktionäre, die den Visionär und Modernisierer vom Kräftemessen mit den anderen europäischen Landesmeistern abhalten wollen.

Doch unterstützt von Verbandspräsident Stanley Rous nimmt „ManU“ in der Saison 1956/57 als erster englischer Vertreter am Europacup der Landesmeister teil und scheitert hier erst im Halbfinale an Titelverteidiger Real Madrid. 1957/58 unternimmt Busby einen zweiten Anlauf. Die „Babes“ sind reifer geworden und gelten als einzig ernsthafter Herausforderer des spanischen Starensembles um Puskas und di Stefano.

Am 5.Februar 1958 gelingt durch ein 3:3 bei Roter Stern Belgrad erneut die Qualifikation für das Halbfinale, doch nur einen Tag später zerschellt der Traum von einer großen europäischen Mannschaft. Nach einer Zwischenlandung in München-Riem rast das Flugzeug mit den „Busby Babes“ an Bord beim Startversuch in eine Böschung und geht in Flammen auf. 21 der 44 Passagiere werden getötet oder sterben später im Krankenhaus, darunter 8 United- Spieler und Klubsekretär Walter Crickmer. Busby selbst wird schwer verletzt und schwebt wochenlang in Lebensgefahr.

Als United 15 Tage nach dem Unglück erstmals wieder das Spielfeld betritt, haben die Fans ihre rot-weißen Schals mit einem Trauerflor drapiert. Der Klub modifiziert seine Farben zu Rot-Schwarz- Weiß, die Tragödie wird zum wichtigsten Bestandteil der Klub-Identität, aber auch dessen Vermarktung. Als der Vater der „Babes“ zehn Wochen nach dem Unglück das Krankenhaus Rechts der Isar verlassen darf, verspricht er der United-Familie den Aufbau einer neuen Mannschaft, die binnen von zehn Jahren den Europacub holen soll – als letzten Dienst an seinen Spielern und um den Schmerz der Textilstadt zu lindern.

Am 29.Mai 1968 ist es soweit. Durch ein 4:1 über Benfica Lissabon gewinnt United als erster englischer Klub den Landesmeistercup. Mit Bobby Charlton und Bill Foulkes sind zwei Überlebende von München dabei. Anschließend verschwindet United für viele Jahre in der Versenkung, nur beim Zuschauerzuspruch bleibt man unverändert Nummer eins. Heute ist der Klub nicht nur sportlich wieder obenauf, sondern auch die einzig wirklich funktionierende Fußball-AG. Der Kurs der ManU-Aktie stieg seit ihrer Emission im Juni 1991 um 1.270 Prozent. Zwar besitzt Klub-Boss Martin Edwards aktuell weniger als 15 Prozent der ManU-Anteile, aber deren Wert wird auf 64 Millionen Pfund geschätzt. Durch den Verkauf eines Teils ihres Pakets konnte die Edwards-Familie seit 1995 28 Millionen Pfund einstreichen.

Kommt das Vereins-TV, wird United mit seiner riesigen und weit verstreuten Anhängerschaft zu den wenigen gehören, die sich davon tatsächlich etwas versprechen können. ManU mobilisiert nämlich nicht nur in England, sondern im katholischen Irland. Die Eroberung des kleinen Nachbarn hatte bereits unter dem Dublin-Fan Busby begonnen, der die irische Insel in seine Nachwuchspolitik integrierte. United gilt vielen Iren als „katholische“ Adresse. Als der einst von Arbeitern einer Eisenbahngesellschaft als Newton Heath LYR ins Leben gerufene Klub 1902 seine Umbenennung beschloß, stand auch „Manchester Celtic“ zur Debatte.

Dem FC Bayern und Borussia Dortmund gilt ManU als leuchtendes Vorbild. Aber weder der eine noch der andere bringt einen gleich großen History-Faktor mit ein. Der englische und europäische Branchenführer mag heute ein geldgieriges Unternehmen sein, aber im sportlichen Bereich garantiert ein überzeugter Sozialist und Labour-Supporter für den Erfolg. Alex Ferguson, wie Busby Schotte, aber Protestant, erlernte den Beruf des Werkzeugmachers und war in seinen jungen Jahren Gewerkschaftsaktivist. In der heutigen Fußball-Landschaft wirkt Fergusons Working-class-Image wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten. Während ManU-Boss Edwards, im übrigen ein Rugby-Fan, den Fußball vornehmlich als lukrative Freizeit- und Unterhaltungsindustrie begreift, steht der Name Ferguson für die traditionellen und sozialen Werte des Fußballs. Für „Fergie“ bleibt der Fußball in erster Linie ein Sport. Aber ohne dieses vermeintliche Relikt würde das Unternehmen ManU kaum funktionieren.

Wie Busby pflegt Ferguson den Community-Gedanken: United ist seine Familie, Old Trafford sein trautes Heim, die Spieler sind seine Söhne und die Klubangestellten Kollegen. Sein Schüler David Beckham ist zwar der Lebensgefährte eines Spice Girls, aber Uniteds Jungstars sind keine Spice Boys. Und wie Matt Busby widmet Ferguson der Nachwuchspolitik große Aufmerksamkeit – mit Erfolg: Kein Bundesligist kann so viele Eigengewächse in seinen Reihen auflisten wie der reichste Klub der Welt.

Der AG-Charakter und die Profitinteressen einiger Vorstandsherren verlangen dies allerdings auch: Schließlich sollen am Ende eines Geschäftsjahres nicht nur Umsätze, sondern reale Gewinne zu Buche stehen. Kaum vorstellbar, aber wahr: Der Wechsel des Müncheners Markus Babbel scheiterte im Sommer 1997 an dessen Gehaltsvorstellungen.

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