: Zack, zack! Eine große Sendung!
■ Namen, Daten, Titel, Verquickungen-Verstrickungen und Plots; Bücher wurden Bestseller, Buchhändler dekorierten ihre Fenster - 10 Jahre "Literarisches Quartett" sind eine ganze Menge
Zehn Jahre! Kaum zu glauben. Der Sozialismus brach in der Zwischenzeit zusammen, Deutschland wurde Fußballweltmeister und hat den Titel längst wieder verloren, die Arbeitslosigkeit stieg und stieg, aber eines blieb und trotzte aller Vergänglichkeit: das „Literarische Quartett“.
Fast so ewig wie der Kanzler und ebenso unbeeindruckbar: Man kann es kritisieren, beschimpfen, verlachen oder totsagen, aber das ändert nichts. Des Gequatsches ist kein Ende, und, ganz ehrlich, ein bißchen abhängig davon ist man ja doch geworden nach so langer Zeit.
Denn wer kann so schön das R rollen und so weiträumig gestikulieren wie Genosse Literaturpapst Reich-Ranicki? Wer kann so brillant mit den Backen schlabbern wie Hellmuth „Karasäcki“ Karasek, bei dem nicht nur der Vorname irgendwie aufgeplustert wirkt? Wer klopft allzeit so energisch und tapfer beleidigt die Armlehne der Polstergarnituren von Salzburg bis Mainz wie Frau Löffler? Und wie wird sich der „wechselnde Gast“ gegen die Übermacht dieses eingespielten Trios zur Geltung bringen können? Fragen von durchaus sportlichem Interesse.
Gut und lobenswert ist auch die Idee, über Literatur einfach nur zu sprechen, anstatt sie – wie in anderen, meist unerträglichen Büchersendungen – in läppische Kurzfilmchen zu verpacken und tragische Autorenfiguren im schwarzen Anzug durch nächtliche Barlandschaften wandeln zu lassen.
Doch in 52 Quartetten mit mehr als 270 durchgenudelten Büchern ist daraus eine so ritualhafte Inszenierung geworden, eine Muppetshow der Eitelkeiten, ein Volkstheaterstück mit unerschütterlich vorzutragenden Geschmacksurteilen und festgelegten Rollen, daß man allmählich über eine Neubesetzung durchaus nachdenken könnte. Für den „wechselnden Gast“ bleibt jedenfalls neben dem rüstig-autoritären Großvater, der guten Tante und dem leicht senilen Riesenbaby nur noch wenig Luft im Charakterfach.
Wie in Politikerrunden ist der Gegner rücksichtslos niederzubrüllen, zählt weniger das Argument als der Erregungsgrad. Urteile, diese verletzlichen, scheuen Wesen, haben hier keine Chance, kommunikativ zu reifen, sondern man haut sie sich gleich fix und fertig um die Ohren: zack, zack. Das ist lustig. Wer es für Literaturkritik hält, ist selber schuld. Und wer darin die gelungene Repräsentanz einer literarischen Öffentlichkeit zu beobachten wähnt, dem ist nicht zu helfen.
Rätselhaft, daß dieses Geschehen dennoch den Buchverkauf im Land ankurbelt wie sonst nichts und die Wortmeldungen („Ein großer Roman!“) als der Wahrheit höchste Weihe gehandelt werden. Javier Marias (dessen neues Werk heute abend „besprochen“ wird, und nirgends paßt dieses Wort so gut wie hier) wäre ohne den allerhöchsten Litquartlobhudelquotienten kaum zum Superstar gereift. Günter Grass hätte ohne den exorbitanten Giga-Verriß bestimmt weniger weite Felder verkauft. Und daß im Dezember die Briefe Alfred Kerrs („Wo liegt Berlin“) 30.000mal verkauft wurden – wäre ohne, na, Sie wissen schon.
Die Verlage also schätzen die Sendung. Buchhandlungen dekorieren ihre Schaufenster entsprechend und bestellen die im Literarischen Quartett verhandelten Bücher gleich palettenweise. Und das Publikum? 800.000 Zuschauer waren bisher Spitze – quotenmäßig eine erschütternde Minderheit, gemessen an anderen Literatursendungen aber eine ganze Menge.
„Abends literarisches Quartett“, schrieb Peter Rühmkorf, eine Institution würdigend, im Februar 1990 unübertrefflich in sein Tagebuch. „Ranicki klappert mit seinem Cromarganbesteck. Seine Göttin die Unterhaltsamkeit, aber es ist die Seichtigkeit, der er opfert. Karasek, diesmal etwas eunuchial verquollen, ebenfalls das Wissen oben ganz flach gestapelt: Namen, Daten, Titel, Verquickungen-Verstrickungen, Plots, alles sicher im Griff und sogar beeindruckend bühnensicher präsentiert (was ich beides nicht brächte) – aber, natürlich, man fragt sich. Als Restrisiko gerade eben noch die Löffler, obwohl ihr scheinpikierter Schmollmund mir wieder mal als Rolle auffiel. Versucht, sich mit tief von unten her heraufgeholten Augenaufschlägen kokett von Ranicki abzusetzen: ach, Gott, der nun wieder!“
Sie nun also wieder. Zehn Jahre. Und dann immer so weiter. Mehr ist dazu wirklich nicht zu sagen. Jörg Magenau
Die Jubiläumssendung, heute um 22.15 Uhr im ZDF. Gast: Peter von Matt. Besprochen werden: Javier Marias: „Morgen in der Schlacht denk an mich“, Christoph Hein: „Von allem Anfang an“, Eduard von Keyserling: „Wellen?“, Matthias Politycki: „Weiberroman“ und Gregor von Rezzori: „Mir auf der Spur“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen