: Kein Tusch für eine deutsche Revolution
Weil ihnen die März-Revoluzzer von 1848 zu wild waren, will die Frankfurter Stadtspitze das Gedenken zum 150. Jubiläum auf eine bürgerlichere Institution lenken: das Paulskirchenparlament ■ Aus Frankurt/Main Klaus-Peter Klingelschmitt
Im März 1998 ist es 150 Jahre her: Handwerker, Arbeiter und Intellektuelle bewaffneten sich und bauten Barrikaden in den Straßen von Berlin, Dresden und Wien, aber auch fast überall sonst in den Metropolen der 39 Kleinstaaten von Splitterdeutschland. Nach den deutschen Bauernaufständen vor allem im Südwesten, nach der nationalen Revolution in Italien im Januar 1848, nach der Februarrevolution in Frankreich: Revolution in Deutschland.
Heute ein Grund zum Feiern? In Frankfurt am Main eher nicht. OB Petra Roth und der Magistrat wollen zwar feiern, aber nicht die Revolution – und nicht die Revolutionäre. Die „Wiege der deutschen Demokratie“ solle im Mittelpunkt stehen, das Paulskirchenparlament, das sich im Mai 1848 konstituierte. Dabei waren es die Revolutionäre von '48 gewesen, die das parlamentarische Forum erkämpft hatten, wo sich dann die mehrheitlich braven Biedermännern – wie der liberale Abgeordnete Bassermann – aus Angst vor den radikalen Anhängern der Fraktion der Linken gleich zwei Pistolen in die Stiefel steckten.
Dem Festkomitee, das von Kritikern schon mal despektierlich als „Elferrat“ bezeichnet wird, steht der renommierte Historiker Lothar Gall vor. Als Gall 1997 vorschlug, dem Wortführer der konstitutionellen Monarchisten in der Paulskirche, Heinrich von Gagern, ein Denkmal zu bauen, biß er allerdings auf Granit. Ein Revolutionsdenkmal ausgerechnet für den Mann, der als Märzminister in Hessen und später als Paulskirchenabgeordneter die Republikaner und Demokraten bekämpfte? Das war dann selbst dem Magistrat, in dem CDU und SPD das Sagen haben, ein zu starkes Stück. Gall wurde zurückgepfiffen, die Revolution gestrichen und alles auf die Erinnerungsarbeit an die Nationalversammlung konzentriert.
Eine öffentliche Debatte über die Entscheidung fand nicht statt. Jetzt dürfen im Jubiläumsjahr der Revolution etwa die – teilweise – reaktionären Burschenschaften in die Paulskirche einziehen, die 1848 überhaupt keine Rolle spielten: nicht auf den Barrikaden und nicht im Parlament. Schwacher Protest dagegen kam nur von den Bündnisgrünen, Schweigen bei der SPD.
„Das wahre Erbe der 48er will offenbar keiner antreten, nicht die Sozialdemokraten, nicht die Gewerkschaften“, merkte denn auch der Berliner Historiker Wolfgang J. Mommsen bissig an. „1848 – Aufbruch der Demokratie“ lautete der Titel einer Debatte mit Mommsen und Zeit-Autor Volker Ullrich, die der Verein „Mehr Demokratie“ veranstaltete. Rund hundert BürgerInnen waren gekommen, um das Forum zu nutzen: zur Debatte über Ursachen und Auswirkungen der Revolution von 1848 – und zur Kritik an den von Magistrat und Komitee einseitig konzipierten Jubiläumsfeierlichkeiten. Insbesondere Ullrich brach eine Lanze für die Demokraten und Republikaner von 1848, welche die stehenden Heere der Fürsten zerschlagen wollten, die Volksbewaffnung durchsetzen und in Deutschland eine föderative Republik nach dem Vorbild der Vereinigten Staaten errichten wollten. Die sogenannten Ganzen um Revolutionäre wie Hecker, Struwe, Itzstein und Blum hätten erkannt, daß nur das Weitertreiben der Revolution, die radikale Hinwendung zu Demokratie und Republik, das Überleben der Bewegung garantierte. Als die Paulskirchen-Mehrheit sich bereits im Vorparlament für die konstitutionelle Monarchie entschied, sei die Konterrevolution programmiert gewesen.
Mommsen sah das anders. Die Konstitutionellen und die Liberalen hätten die Stimmungen im Volk besser gekannt als die intellektuellen Demokraten und Republikaner aus dem Südwesten. Die Menschen hätten den „ordentlichen deutschen Weg“ der Reformen bevorzugt. Das „Volk“ im Presseclub war so gespalten wie die Experten. Es applaudierte heftig oder tat sein Mißfallen kund – ähnlich den Zuschauern von 1848 in den Rängen der Paulskirche, wie Mommsen anmerkte.
Und was passiert im März und im Mai jenseits offizieller Festivitäten? Ein paar Diskutanten schmieden später beim Wein Pläne zur Umbenennung einer Straße in der Stadt: Die Kaiserstraße soll ab März 1998 Hecker-Struve-Allee heißen. Und eine Resolution soll verfaßt werden: „Wider die liederliche Absicht der Stadt Frankfurt an dem Maine, den widerlichen Burschenschaften die Paulskirche zu überlassen.“
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