■ Gerry Adams wird von den Katholiken Irlands als Hoffnungsträger verehrt. Ein Porträt von Ralf Sotscheck: Ein intelligenter Gentleman
Wenn es überhaupt auf einen Mann im nordirischen Bürgerkrieg ankommt, dann ist es Gerry Adams. Er saß für die Sache eines ungeteilten Irland oft im Gefängnis. Heute ist er ein Politiker, der selbst in London respektiert wird. Ob er immer noch im Armeerat der IRA ist, weiß man nicht genau. Ein hochrangiger britischer Polizist sagte kürzlich realistisch: „Ich würde mich mehr sorgen, wenn er dort nicht wäre.“
Manche tun es offen, andere nur hinter verschlossenen Türen, ohne Zeugen. Auf Kritik muß aber jeder Politiker gefaßt sein, der die Hand des Sinn-Féin-Präsidenten Gerry Adams schüttelt. Die irische Präsidentin Mary McAleese ergriff sie vor surrenden Kameras, ihre Vorgängerin Mary Robinson schickte vorher die Journalisten hinaus, und beim Fünf-Uhr-Tee des britischen Premierministers Tony Blair mit Adams in der Downing Street hatte die Presse ohnehin keinen Zutritt. US-Präsident Bill Clinton dagegen war im November 1995 mit seinem schwarzen Cadillac extra in eine Bäckerei in der Belfaster Falls Road gefahren, um Adams öffentlich zu begrüßen.
Die Hand, die heutzutage der Prominenz gereicht wird, habe früher das IRA- Gewehr gehalten, behaupten die Unionisten. Adams behauptet in seiner Autobiographie, er habe nur einmal in seinem Leben geschossen – als Jugendlicher auf ein Kaninchen. „Und dann hörte ich es quieken“, schreibt er. „Jesus, Maria und Josef! Entfuhr es mir. Das Quieken wurde zu einem jämmerlichen Winseln.“ Da habe er genug gehabt von Gewehren.
Sein Buch hat natürlich Lücken, denn wenn er die ganze Wahrheit schreiben würde, wäre er nicht in der Downing Street gelandet, sondern im Gefängnis. In den inoffiziellen Biographien heißt es, Adams wäre schon mit 23 Jahren Bataillonskommandant der IRA und Architekt des „Blutigen Freitag“ gewesen, als 1972 in Belfast an einem Tag 22 Bomben hochgingen und neun Menschen umkamen. Nachweisen konnte man es ihm nicht, aber man konnte ihn ohne Anklage internieren.
Als die Behörden ihn dann überraschend freiließen, wurde er über Nacht über Belfasts Grenzen hinaus bekannt: Die IRA hatte einen Waffenstillstand als Gegenleistung für direkte Verhandlungen mit der britischen Regierung angeboten, und der junge Adams solle der Delegation angehören, hatte die IRA gefordert.
Die Waffenruhe war nur von kurzer Dauer, und Adams befand sich schon bald wieder im Gefangenenlager Long Kesh. Doch der Grundstein für seinen fast legendären Ruf in den katholischen Ghettos war gelegt. Dieser Leumund und das große Vertrauen, das er bei seinen Leuten genießt, waren die Voraussetzungen für den Friedensprozeß, auf den Adams seit Ende der achtziger Jahre hingearbeitet hat. Kein anderer hätte es wohl geschafft, die Organisation trotz zahlreicher Rückschläge auf dem Weg ins Ungewisse hinter sich zu bringen. „Wir glauben an Gerry“, hört man immer wieder auf der Falls Road, wenn Kritik an seiner Strategie laut wird. „Noch“, mögen Pessimisten hinzufügen.
Die Falls Road ist die Hauptstraße seines Wahlkreises West-Belfast, wo sie ihn dreimal ins Londoner Unterhaus gewählt haben. Den Sitz hat er freilich nie eingenommen, und selbst wenn der Eid auf die Königin abgeschafft würde, zöge er nicht ins „ausländische“, britische Parlament ein. Auf die Diäten hat er ebenfalls verzichtet, statt dessen kassierte er bis März 1995 Sozialhilfe. Seitdem lebt er von den Tantiemen für seine Autobiographie.
In West-Belfast, in einer Seitenstraße der Falls Road, ist Adams vor fast fünfzig Jahren als ältestes von 13 Kindern auf die Welt gekommen. Sein Vater, ein Bauarbeiter, der ebenfalls Gerry hieß, und seine Mutter Annie, eine Leinenweberin, wohnten bei der Oma in einem Reihenhaus mit zwei Schlafzimmern. Der Vater, ein IRA- Mann, war erst ein Jahr zuvor aus dem Gefängnis entlassen worden. Da auch drei Onkel in dem kleinen Haus lebten und ein Jahr später Gerrys Schwester Margaret geboren wurde, zogen die Eltern in einen Sozialbau nach Ballymurphy, ein Arbeiterviertel, in dem auf einer Quadratmeile mehr als hundert Menschen in dem Konflikt ums Leben und zehnmal so viele ins Gefängnis gekommen sind.
Adams besuchte eine katholische Ordensschule der Christian Brothers. Sein Lehrer, Brother Beausang, beschrieb ihn als „einen von dieser nachdenklichen Sorte von Jugendlichen, sehr ruhig, beinahe schweigsam. Du fragtest dich stets, was in diesem kleinen Kopf vor sich ging. Er konnte in der Klasse sein, und du warst dir kaum seiner Anwesenheit bewußt. Aber wenn du ihn anschautest, wußtest du, daß er alles in sich aufnahm.“
Mit 17 ging er von der Schule ab und arbeitete als Barkeeper in einem protestantischen Viertel. Als der Konflikt Ende der sechziger Jahre ausbrach, baute Adams Molotowcocktails. 1970 spalteten sich Sinn Féin und IRA in einen offiziellen und einen provisorischen Flügel. Ersterer legte bald darauf die Waffen nieder, Adams aber ging mit den Provos, deren Präsident er im November 1983 wurde.
Seit er ein Fernsehstar ist, klopfen täglich die Medien bei ihm an, um etwas über den Privatmann Adams zu erfahren. Seine Familie hat er immer aus dem Rampenlicht herausgehalten, seine Frau Colette McArdle spricht so gut wie nie mit Journalisten. Das Haus in Norfolk Gardens in West-Belfast ist wie eine Festung gesichert, seit die Loyalisten es 1993 mit einer Granate angegriffen haben. Jetzt sind die Fenster aus kugelsicherem Glas, die Jalousien sind immer heruntergezogen. Über der Haustür ist eine Kamera angebracht, die Tür mit drei Schlössern verriegelt. Adams ist selten hier. Er schläft nie länger als zwei Nächte unter demselben Dach, die Verletzungen von so manchem Anschlag erinnern ihn stets an die Notwendigkeit solcher Sicherheitsvorkehrungen.
Er hatte Colette einen Heiratsantrag gemacht, während das Haus, in dem sie sich verschanzt hatten, von britischen Soldaten beschossen wurde. „Wenn wir hier heil herauskommen, heirate ich dich“, hatte er gesagt. Damals war Colette für Frauenpolitik bei Sinn Féin verantwortlich, zwei ihrer Mitstreiterinnen wurden 1971 von britischen Soldaten erschossen. Einmal, es ist schon Jahre her, hat sie doch mit einem Reporter gesprochen. Ihr Mann sei „sehr romantisch und verständnisvoll“, sagte sie, „er vergißt niemals den Hochzeitstag oder einen Geburtstag“.
Als sie Gerry Adams zum ersten Mal begegnete, pflückte der eine Rose aus einem Vorgarten und schenkte sie ihr. Das war nach einer Demonstration vor einer Diskothek in der Nähe einer britischen Kaserne, um die einheimischen Mädchen davon abzuhalten, sich mit den Soldaten einzulassen. Wer sich nicht daran hielt, wurde damals geteert und gefedert.
Die Adams haben einen Sohn, Gearoid. Gerry Adams jr. setzte alles dran, ihn von der Politik fernzuhalten. Gearoid ist ein guter Gälisch-Fußballspieler und der erste in der Familie, der studiert hat. Seit vorigem Jahr arbeitet er als Grundschullehrer. Sein Vater wollte nicht, daß er dasselbe Schicksal erleidet wie eine Reihe von Verwandten: Bruder Dominic verbrachte wegen Waffenbesitzes 14 Jahre im Gefängnis, ein Cousin wurde nach einem Banküberfall zu 10 Jahren verurteilt, ein weiterer Vetter saß 25 Jahre wegen Mordversuches an einem Polizisten ein.
Mehr Zeit als mit seiner Familie verbringt Adams mit seinem Pressesprecher Richard McAuley und seinen Bodyguards, von denen jeder einzelne wegen irgendwelcher IRA-Geschichten im Gefängnis war. Ist Adams in seinem Büro, sind sie nie weit entfernt. Das Büro liegt im Belfaster Parteihauptquartier auf der Falls Road. Das Gebäude ist umgeben von schweren Felsbrocken, die im Falle eines Bombenanschlags der Explosion die Wucht nehmen sollen. Wer an der vergitterten Tür klingelt, wird zuerst durch eine Fernsehkamera gemustert, dann darf er links im Warteraum Platz nehmen. Meistens warten hier Frauen auf den Bus, der sie zum Besuch beim Freund oder Ehemann in Long Kesh bringen soll.
Die Treppe in den ersten Stock ist durch ein weiteres Stahlgitter gesichert. Adams empfängt Besucher auf dem Treppenabsatz und geleitet sie durch das verwinkelte Gebäude in ein schäbiges Zimmer. Er trägt einen tadellosen Anzug, der nicht so recht in diese Umgebung paßt. Seine Manieren sind vom gleichen Zuschnitt. Selbst wenn man der zehnte ist, der ihm an diesem Tag die gleichen Fragen stellt, bleibt Adams freundlich und geduldig.
Er ist sympathisch – eine Meinung, die seine Gegner nicht teilen. John Major verbannte ihn nach einem IRA-Anschlag von der britischen Insel und sagte, bei dem Gedanken, mit Adams an einem Tisch zu sitzen, würde sich ihm der Magen umdrehen. Später stellte sich heraus, daß die beiden schon seit Monaten in Kontakt waren.
Über sich selbst spricht Adams ungern. Er interessiert sich für Hurling, den Nationalsport, liest gerne und ist ein guter Sänger. Als er einst in der protestantischen Kneipe arbeitete, soll er oft „The Sash“ – eine Art unionistische Nationalhymne – auf gälisch gesungen haben. Ein Mitgefangener sagte über Adams, er sei „ein schlaksiger Typ mit Goldrandbrille, der öfter mit der Pfeife im Mund auf einem Käsebrot herumkaut. Käsebrote waren bei ihm das äußerste, was Kochen anging.“
Sean O'Callaghan, ein ehemaliger IRA- Kommandant, der zum Polizeispitzel wurde und heute für die konservative Presse schreibt, hält Adams zwar für skrupellos, anerkannte jedoch, er sei der „flexibelste, pragmatischste und politisch scharfsinnigste“ in der Parteispitze: „Einer, der langfristig denken kann.“
In Adams' Polizeiakte steht: „Dieser Mann ist ein sehr guter Lügner, bei dem man ein langes Verhör ohne Pausen benötigt. Ein intelligenter Gentleman, der über Verhörmethoden gut informiert ist.“ Reporter, die ihn aus der Reserve locken wollen, können davon ein Lied singen. Adams ist nicht aus der Fassung zu bringen, bei provozierenden Fragen wird er nicht laut, sondern beharrt auf seinem Standpunkt und zupft höchstens kurz an seiner Krawatte. In der „Late Late Show“ des irischen Fernsehens hatte ihm Gastgeber Gay Byrne gleich fünf feindselige Gesprächspartner gegenübergesetzt. Die Presse war sich später einig, daß Adams die fünf zu Narren gemacht hätte.
Danny Morrison, der frühere Pressechef von Sinn Féin, hatte den Satz von der „Armalite and ballot box“ geprägt: In der einen Hand das Gewehr, in der anderen die Wahlurne – diese Doppelstrategie sollte zum Sieg führen. Seit die IRA die Waffen niedergelegt hat und Adams in den Kreis der Politiker aufgenommen worden ist, sprechen manche seiner Fans spöttisch von „Armani and ballot box“.
Ob er trotz Armani im Armeerat der IRA ist, wird immer wieder behauptet, doch genau weiß man es nicht. Ein hochrangiger Polizist aus London sagte kürzlich: „Ich würde mich mehr sorgen, wenn er dort nicht wäre.“
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