: „Ich hätte taktischer sein müssen“
Nach seiner zweiten Demontage hat der Torhüter Richard Golz beim Bundesliga-Letzten Hamburger SV keine Freunde mehr. Ist er „zu intelligent“? Oder zu ehrlich? ■ Clemens Gerlach sprach mit ihm
Hamburg (taz) – Dieses Graffito muß etliche Jahre alt sein. Es ist leicht verblichen, nicht besonders groß und deshalb nur aus der Nähe zu entziffern. „Richard Golz, du bist süß“, lautet die Huldigung an der Wand zur Umkleidekabine des HSV-Trainingszentrums in Hamburg-Ochsenzoll.
Inzwischen sind die Liebesbeweise der Anhängerschaft rar geworden im Leben des Hamburger Ersatzkeepers. Distanz prägt das Verhältnis. Die spezielle Art von Anteilnahme ist Golz nicht entgangen, wie könnte sie auch. Selbst bei abgelegenen Testkicks in der Norddeutschen Tiefebene verfolgt ihn das mittlerweile republikweit bekannte Plakat „GOLZ RAUS“.
„Die Stimmung ist seit einem Jahr gegen mich“, hat Golz festgestellt. Doch so schlecht wie jetzt war sie noch nie. Ein Indiz: In Fankreisen wird mehr denn je darüber diskutiert, ob Golz wirklich einen Sticker des verhaßten Lokalrivalen FC St. Pauli, vulgo: St. Pipi, hinten an seinem Wagen kleben habe. „Wieso sollte ich“, fragte Golz, „ich trage doch schon ein Pauli- Tattoo über dem Herzen.“
Weshalb Golz so sehr beim Publikum in Ungnade gefallen ist, weiß niemand ganz genau. An den schwachen Leistungen in der Vorsaison alleine liegt es sicher nicht. Und auch nicht daran, daß sein Comeback am vergangenen Wochenende in München „eine Katastrophe“ war. Der mit 199 Zentimetern längste Bundesligaprofi hatte dabei das flotteste Erstligator aller Spielzeiten kassiert und war auch sonst beim ersten Punktspiel nach sieben Monaten Pause neben der Spur. „Da ist alles schiefgelaufen.“ Danach war der HSV Bundesliga-Schlußlicht, und der Trainer reagierte erneut: Gegen Hertha BSC stellt Frank Pagelsdorf heute wieder Jörg Butt ins Tor.
Andererseits hatten sie beim HSV eigentlich immer ein Faible für kuriose Auftritte. Stürmer Valdas Ivanauskas etwa konnte noch so systematisch den erfolgreichen Torschuß boykottieren, der „Ivan! Ivan!“-Ruf verhallte nie. Diesen Kredit besitzt Golz nicht mehr. „Ich habe immer gedacht, daß ich ein HSVer bin“, sagt der gebürtige Berliner. Doch anscheinend gehört der dienstälteste Hamburger Profi auch nach 13 Jahren noch nicht zum Rothosen-Inventar.
Ganz geheuer war er den Fans des HSV nie. „Ich hätte“ – fast ein Fazit seiner Zeit in der Hansestadt – „häufig taktischer vorgehen müssen.“ Aber: „So einer bin ich nicht.“ Er würde jederzeit wieder Hooligan-Gepöbel kritisieren, auch wenn es im eigenen Stadion wäre, so wie er es schon einmal Anfang der 90er in dem „Werkstatt“- Buch „Fußball und Rassismus“ getan hat. Für viele HSV-Anhänger war das ein klarer Fall von Nestbeschmutzung. Denen ist er „zu intelligent“, glaubt Sport-Bild.
Ohne Aussagen wie „Ich freue mich darüber, daß zwei Hamburger Klubs in der ersten Liga spielen“ hätte Golz ein leichteres Leben gehabt. Noch nach einem Jahr wird ihm sogar von einigermaßen vernunftbegabten Zeitgenossen vorgehalten, daß er nach dem letzten Lokalderby gegen St. Pauli nicht ausreichend Reue gezeigt hätte. Da hatte der „Lange“ durch einen seiner typischen Quartals- Aussetzer den Ausgleich Sekunden vor dem Abpfiff verursacht. Fortan waren ihm die Pfiffe sicher.
Verbale Prügel bezog der Sportmanagement-Fernstudent dann reichlich vom neuen Coach. Schon vor dem ersten Training befand Pagelsdorf, Golz, unter Felix Magath noch Kapitän, sei „keine Führungspersönlichkeit“, und geißelte dessen öffentliche Auftritte: „Seine Interviews gefallen mir nicht, es mangelt ihm an Selbstkritik.“ Nach 273 Bundesligaspielen weiß Golz: „Wenn du alles hältst, kannst du alles sagen.“
Vielleicht hat der Trainer ja auch nur einen anderen Humor als sein Untergebener mit der ausgeprägten Abneigung gegen „Ja, gut, ich sag mal“-Statements? Immerhin antwortete der taz- und FAZ- Teilzeitautor einmal auf die Frage, was er nach seinem Karriereende machen wolle: „Sterben.“
So weit ist es noch nicht, aber sportlich ist Golz (29) nach seiner zweiten Demontage beim HSV wohl tot. „Meine Zukunft gestaltet sich jetzt etwas schwieriger“, meint „König Richard“, der Regent ohne Reich. „Die hätten mich schon im Sommer verkaufen sollen, wie ich es vorgeschlagen hatte.“
Jetzt, als erneuter Bankdrücker, endgültig verdrängt von einem Jungspund, der nicht einmal bei einem Drittligisten Stammtorwart war, sind die künftigen Angebote „wohl begrenzt“, schätzt Golz. „Real Madrid oder AC Mailand werden sich nicht melden.“ Und auch nicht Celtic Glasgow, wie noch vor einem halben Jahr. „Ich muß wieder ein bißchen tiefer anfangen. So einen Abgang will ich nicht.“ Andererseits müsse er nicht „um jeden Preis weg vom HSV“. Besser wäre es wohl.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen