: 60 Mann und die bayerische Identität
Drei Volksentscheide versetzen Bayern am Sonntag in den Vorwahlkampf. Die Zukunft des Senats, einer bundesweit einmaligen Ständekammer, steht auf der Kippe. Die CSU befürchtet eine Niederlage ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler
„3 x Ja für Bayern“, heißt es auf den weißblauen Plakaten, die die CSU im Vorfeld der Volksentscheide am Sonntag im ganzen Freistaat kleben ließ. Geschickt brandmarkt die Regierungspartei die Gegner der Verfassungs- und Landtagsreform sowie des heftig umstrittenen Senats nicht nur als notorische Neinsager, sondern als Angreifer auf die bayerische Identität. „Der Senat ist ein Stück Bayern“, betont denn auch Ministerpräsident Edmund Stoiber. Landtagspräsident Johann Böhm geht noch ein Stück weiter: „Bayernhymne, Staatswappen, Kruzifix, Biergärten und Zweite Kammer – sie alle gehören zum Freistaat.“
Doch „Gott mit dir, du Land der Bayern“ wird auch nach dem 8.Februar intoniert werden, Löwe und Raute werden weiterhin die weißblauen Fahnen und das Kreuz die Klassenzimmer der Schulen zieren, auch der Maß Bier wird künftig im Freien gefrönt werden können – nur um den Senat sieht es nach fast 52jähriger Existenz schlecht aus. Schon bei ihrer Einführung 1946 war die bundesweit einmalige Ständekammer, in der 60 Vertreter von Handwerk, Industrie, Landwirtschaft, Gewerkschaften, Hochschulen, Kirchen und Gemeinden saßen, so umstritten, daß man sie zwar in der Verfassung festschrieb, aber nur mit geringen Kompetenzen ausstattete. Die Senatoren, die ein Eintrittsalter von 40 Jahren mitbringen mußten und von ihren Verbänden auf sechs Jahre entsandt wurden, durften keine Gesetze beschließen. Sie konnten lediglich eigene Gesetzesvorlagen unmittelbar in den Landtag einbringen und durften zu jedem Gesetzentwurf der Staatsregierung Stellung nehmen.
Damit könnte es bald vorbei sein. Angeschoben von der kleinen Ökologischen Demokratischen Partei (ÖDP) bildete sich eine Initiative „Schlanker Staat ohne Senat“. Nach den Bündnisgrünen und der FDP schlossen sich ihr nach langem Zögern auch die SPD und der einflußreiche BUND Naturschutz an. Sie kritisierten nicht nur die Überalterung des Gremiums und dessen minimalen Frauenanteil, sondern vor allem die zu geringe Leistung der Senatoren. So hat der Senat seit seinem Bestehen ganze 43 eigene Gesetzesinitiativen zustande gebracht. Nur bei jedem neunten vom Landtag beschlossenen Gesetz hatte man überhaupt etwas einzuwenden. Dafür kassierte dann jeder Senator alles in allem Beträge bis zu 6.000 Mark monatlich. Ein beachtlicher Zuverdienst für die ohnehin gut dotierten Verbandsfunktionäre und Honoratioren. Der Senat kostet den bayerischen Steuerzahler pro Jahr knappe zehn Millionen Mark.
Im Juni letzten Jahres befürworteten knapp 930.000 Wahlberechtigte die Abschaffung der Ständekammer und machten so den Volksentscheid überhaupt erst möglich. Damals hatte die CSU sich noch vornehm zurückgehalten. Man hoffte, das Volksbegehren mit möglichst wenig Wirbel und eigenem Eingreifen ins Leere laufen lassen zu können. Zudem war der Senat auch innerhalb der Christsozialen heftig umstritten. Vom ehemaligen bayerischen Innenminister Bruno Merk bis hin zum derzeitigen CSU-Verfassungsexperten Manfred Weiß hegte man Zweifel an der Existenzberechtigung des Gremiums. Es sei „als parlamentarisches Placebo heiß begehrt, aber wirkungslos“, betonte Merk und spielte darauf an, daß der Senat schon immer ein Rangierbahnhof für ausgediente CSU-Politiker und Honoratioren befreundeter Verbände war. Da die CSU ihrer Klientel aber nicht die Pöstchen streitig machen wollte, plädierte sie für die Beibehaltung eines reformierten Senats. Im Juni noch ohne Erfolg.
Jetzt legt sich die CSU mächtig ins Zeug, schließlich will man sich im Vorfeld der Landtagswahlen am 13. September und der Bundestagswahl zwei Wochen später nicht eine erneute Niederlage gegen die gesammelte Opposition in Bayern einhandeln. Man wirbt für einen verjüngten Senat, in dem in Zukunft auch Vertreter von Frauenorganisationen, Behinderten-, Familien-, Sport-, Natur- und Umweltschutzverbänden sowie der Kultur- und Heimatpflege Sitz und Stimme hätten.
Ganz im Schatten der spannenden Entscheidung über den Senat stehen die beiden Volksentscheide über die Verfassungsreform und die Verkleinerung von Landtag und Staatsregierung. CSU und SPD sind sich darin einig, daß ab dem Jahr 2003 der Landtag um 24 Sitze und das Kabinett ab 1998 um drei Mitglieder schrumpfen soll.
Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, aber für Bayern angesichts der jahrzehntelangen Einparteienregierung anscheinend notwendig, soll künftig in der Verfassung die Opposition als „grundlegender Bestandteil der parlamentarischen Demokratie“ festgeschrieben werden. Um sie zu stärken, soll sie ab und zu in den Genuß des Vorsitzes eines Untersuchungsausschusses kommen. Dies war bislang der CSU vorbehalten.
Wenn die Mehrheit beim Volksentscheid dies befürwortet, wird der Freistaat sich künftig per Verfassung ausdrücklich zu einem geeinten Europa bekennen. Die Stärkung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern, das Verbot der Benachteiligung von Behinderten, die Sportförderung und der Tierschutz erhalten Verfassungsrang. Der Passus, daß „der Vollzug der Todesstrafe der Bestätigung durch die Staatsregierung bedarf“, wird dann der Vergangenheit angehören.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen