Lachende Grimassen des Irrsinns

■ Erst bilderbunt, dann beklemmend aktuell: Hans H. Jahnns „Medea“in Oldenburg

Nebel wabert. Weißes Licht durchtränkt den Raum, bricht sich in einer violetten Dämmerung. Farben werden wach: Kobaltblau schillern die Wände, der Boden changiert ins Grün, aus einem rotglühenden Raum rieselt Asche auf die Bühne des Oldenburger Staatstheaters. Sie verwandelt sich zu einem expressionistischen Tableau, in dem Hans Henny Jahnns „Medea“zu starken, suggestiven Bildern findet.

Dort hinten taucht ein kahler Kopf aus dem Nebel – wie eine stille Warnung. Zwei weiße Pferd neigen ihre Köpfe wie ihre offensichtlichen Paten vom Brandenburger Tor, ein Speer ragt phallisch warnend im Vordergrund, rechts davon ineinander verknäuelt ruhen zwei Knaben am Boden. Intendant Stephan Mettin inszeniert die schwarze Medea mit choreographischer Klarheit, die Bilder wirken wie gemeißelt. Der symbolische Raum der Inszenierung läßt den wuchtigen, nicht selten pathetischen Text zu sich selbst kommen.

Christine Jensen ist die barbusige Medea, die ergraute Barbarin, deren Körper sichtlich an Schmerz und Leid trägt. Martin Rentsch ist der jungdynamische Jason, dessen metallene Stimme schneidet: ein Emporkömmling im wehenden Mantel, der gerade dem Fitneßcenter einstiegen zu sein scheint. Tilmar Kuhn, der als Jasons ältester Sohn um die Gunst des Vaters wirbt, will so dem ödipalen Drama entgehen.

Anfangs jedoch werden in einigen Szenen die subtilen Gefühle nicht ausgehalten, nicht in die Stimmungen überführt, die mit der feinsinnigen Lichtregie und der Farbdramaturgie so wirkungsvoll als Bild erzeugt werden. Hier entpuppt sich die schöne glatte Ästhetik als verfänglicher Stellvertreter des Schauspielerischen. Worte bleiben als Pathos an den Lippen kleben, finden kaum Brechungen in Körper und Stimme. Anlaufschwierigkeiten. Offenbar.

Denn letztlich versöhnen sich die schönen Bilder mit dem Schauspiel zu einem nachhaltigen Eindruck. Das Symbolische befreit sich vom Mythologischen, und man begreift, was man schon vorher ahnte: Medeas Aktualität. Behutsam in Szene gesetzt als Konflikt zwischen Erster und Dritter, Männer- und Frauen-Welt.

Ein fetter Körper irrt dort, König Creons Bote (Murat Yeginer). Sein Ich, seine Seele, scheint mit dem Augen fortgeworfen. Auch Jasons Stimme zerbröselt mit seiner verfluchten Männlichkeit. Eine schweißüberströmte Medea kotzt ihren Schmerz in den roten Staub ihres Lebens, wird zur lachenden Grimasse des Irrsinns, den sie nicht mehr beweinen kann. Christine Jensen erschafft diese Figur schreiend, flüsternd, kauernd und keuchend als lebende Allegorie. Die ausgebeutete, betrogene Barbarin windet sich nach dem Mord an ihren Söhnen letztlich lustvoll stöhnend im Triumph über die Kultur der gutangezogenen Herrenmenschen Jason und Creon.

Die Gäule vom Brandenburger Tor hängen endlich kopfüber im Raum, Regen prasselt an ihnen entlang. Ein Deckenelement senkt sich herab, umfriedet Medea und ihre getöteten Söhne auf dem einsamen Podest ihres Triumphes. Korinth ertrinkt. El Niño wird siegen.

Marijke Gerwin

Nächste Aufführung am 26. Februar um 19.30 Uhr