: Seit vier Jahrzehnten regieren die Christsozialen unangefochten den Freistaat Bayern. Jetzt scheinen sie ihren Nimbus der Unbesiegbarkeit verloren zu haben. Zum zweiten Mal mußten sie in dieser Wahlperiode in einem Volksentscheid eine Niede
Seit vier Jahrzehnten regieren die Christsozialen unangefochten den Freistaat Bayern. Jetzt scheinen sie ihren Nimbus der Unbesiegbarkeit verloren zu haben. Zum zweiten Mal mußten sie in dieser Wahlperiode in einem Volksentscheid eine Niederlage hinnehmen. Mit großer Mehrheit schaffte die Bevölkerung den Bayerischen Senat ab.
Da schau her: Der CSU laufen die Schwarzen davon
„Das war kein Testlauf für die Landtagswahl, das war ein völlig anderes Kapitel.“ Ungewohnt schmallippig und einsilbig versucht der CSU-Fraktionsvorsitzende im Bayerischen Landtag, Alois Glück, die Niederlage seiner Partei beim Volksentscheid zur Abschaffung des Senats kleinzureden. Eine „Gemengelage von Gefühlen“ habe sich da „überlagert“. Insgesamt sei das Ergebnis für die CSU „kein Problem“, außerdem hätten doch die Gewerkschaften und all die Verbände, die den Senat unterstützt hatten, ebenfalls verloren.
Während Glück den Frontmann für die Medien spielt, geht in den Vorstandsetagen der seit knapp vier Jahrzehnten den Freistaat allein regierenden Partei die Angst um. Bislang hatte man es erfolgreich verstanden, das im Freistaat vorherrschende „Mir san mir in Bayern“-Lebensgefühl in eine „Mir san Bayern“-Parteiidentität umzumünzen, so daß die Wähler in schnöder Regelmäßigkeit absolute Mehrheiten für die Christsozialen produzierten. Seit Sonntag ist das nun anders. Es gibt eine Mehrheit in Bayern jenseits der CSU. Satte 69,2 Prozent votierten gegen die Stoiber-Waigel-Partei und für die Abschaffung des Senats.
Die Partei, die sonst so sehr das Ohr am Puls des Bayernvolkes hatte, sich stets rühmte, auch noch die feinsten Stimmungen zu erahnen, und auch nicht davor zurückschreckte, diese entsprechend populistisch aufzugreifen, hat einen Fehler gemacht. Selbst in eingefleischten CSU-Hochburgen, wie in Mühldorf am Inn oder in Neumarkt in der tiefschwarzen Oberpfalz, stimmten zwei Drittel gegen die Schwarzen. Und das, obwohl die CSU gar nicht mal allein auf weiter Flur gegen die gesamte bayerische Opposition stand, sondern treue Verbündete hinter sich hatte. Der Bauernverband, das Rote Kreuz oder viele andere Organisationen, in denen sich viele Bürger ehrenamtlich engagieren, hatten die Trommel für den Senat gerührt und das Werbematerial der CSU verteilt.
Noch schwerer für die CSU wiegt es, daß sie nun schon zum zweiten Mal in dieser Legislaturperiode bei einem Volksentscheid den kürzeren zieht. Am 1. Oktober 1995 setzte sich die Initiative „Mehr Demokratie“ mit ihrem Gesetzentwurf zur kommunalen Mitbestimmung klar gegen die CSU-Vorlage durch. Mit Millionenaufwand hatte die CSU zuvor den Teufel an die Wand gemalt: Im Falle eines Sieges von „Mehr Demokratie“ würde die „Diktatur der Minderheit“ der schweigenden Mehrheit erbarmungslos den Marsch blasen, im Freistaat würde fortan das Chaos ausbrechen. Es hatte nichts genutzt.
Die erste Niederlage, die die CSU seit 1950 in einer landesweiten Abstimmung erlitten hatte, war perfekt, der Nimbus der Unbesiegbarkeit der CSU war dahin und bei den Schwarzen gab es betröpfelte Mienen. Die Parteistrategen, ansonsten bei der Interpretation von Wahlergebnissen nie um Worte verlegen, taten sich entsprechend hart mit der Kommentierung.
Aber im Herbst 1995 konnten sich die Funktionäre in der CSU- Zentrale in der Münchner Nymphenburger Straße noch bequem zurücklehnen. Ein Jahr zuvor gab's bei den Landtagswahlen immerhin satte 52,8 Prozent. Jetzt aber hat man ein halbes Jahr vor der Landtagswahl am 13. September die Stimmungslage im Land falsch eingeschätzt. Man geht mit einer Schlappe ins Wahljahr – und das, wo man mit den Freien Wählern einen ernstzunehmenden Konkurrenten beim Urnengang im Herbst hinzubekommen hat. Diese parteiunabhängige Gruppierung, die nun erstmals zum Landtag antritt, hatte bei den Kommunalwahlen 1996 in den kreisangehörigen Städten und Gemeinden 42,1 Prozent und landesweit immerhin noch beachtliche 16,2 Prozent gewonnen. Die Freien Wähler stellen derzeit acht Landräte, und jeder dritte Bürgermeister in Bayern ist parteifrei. Die Freien haben also eine ernsthafte Chance, die Fünfprozenthürde zu überspringen. Damit wäre aber die absolute Mehrheit der CSU endgültig dahin.
Und wenn man den CSU-Spitzen Glauben schenken darf, nicht nur das. Für Parteichef Theo Waigel steht damit „die klare und kraftvolle Regierung, also das große Markenzeichen Bayerns in Deutschland, auf der Kippe“. Ministerpräsident Edmund Stoiber wird nicht müde zu betonen, daß die bayerische Identität, der Stellenwert des Freistaats im Bund und in Europa untrennbar mit der absoluten Mehrheit der CSU verbunden sei.
Mit der Identität ist das eben so eine Sache. Der Senat, so Stoiber, war ebenfalls ein „bayerisches Spezifikum“. Auch ein solches geht einmal verloren. Bernd Siegler
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